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„Fühlt ihr euch in Deutschland zu Hause?“

Das Russlanddeutsche Theater geht einen „weiten Weg zurück“

Das Theaterstück „Der weite Weg zurück“ beginnt in deutschen Landen und endet in der Bundesrepublik. Generationen von Russlanddeutschen ziehen vor den Augen der Zuschauer vorüber. Das Publikum geht mit, erkennt es in den vorgestellten Briefen und Liedern doch ein Teil der eigenen Familiengeschichte. Wo immer das Russlanddeutsche Theater Niederstettten mit dem Stück auftritt, sind die Säle voll.

Niederstetten, im März 2009 – Es gibt keine Bühnendekoration, nur zwei Tafeln mit den Konturen von Deutschland und Russland, dazu zwei talentierte Schauspieler, die vor unseren Augen ein Wunder entstehen lassen - ein gewöhnliches Wunder, weil die Schicksale der Vorfahren und ihr eigenes Schicksal so typisch für alle sind, die man heute Deutsche aus Russland nennt. Deshalb erkennen sich die Zuschauer auch in den Schauspielern wieder, erleben das Schicksal mehrerer Generationen mit, weinen, lachen und singen gemeinsam mit den Künstlern.

Im Repertoire der Schauspieler Peter und Maria Warkentin, die das einzige russlanddeutsche Theater in Deutschland (das ‚Russlanddeutsche Theater Niederstetten‘) gegründet haben, gibt es viele klassische Stücke. Das Stück „Der weite Weg zurück“ fällt dagegen völlig aus dem Rahmen. In den vergangenen acht Jahren haben es die beiden Schauspieler mehr als 250 Mal aufgeführt, sind damit durch ganz Deutschland gezogen. Und überall waren die Säle voll.

„Am Anfang waren wir sieben Schauspieler im Theater in Niederstetten. Früher haben wir alle zusammen im Deutschen Theater in Temirtau (Kasachstan) gespielt“, erinnert sich Maria Warkentin. „Dann hat das Theater kein Geld mehr bekommen, und die Schauspieler gingen weg. Schließlich müssen alle leben und Enthusiasmus allein macht nicht satt. Peter und ich sind geblieben, Wir wollten das Theater weiterführen und vor allem seinen Namen erhalten: Russlanddeutsches Theater. Die Leute wissen, woher wir kommen und wundern sich nicht, wenn in irgendeiner Szene plötzlich ein Akzent zu hören ist. Wir sind zwar Deutsche, aber eben Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion.“

Maria und Peter Warkentin
„Unsere Herzen schlagen, schlagen nach den goldenen Tagen“: Sechs lange Wochen waren die Auswanderer ins sagenhafte Russland unterwegs, froren, vergingen fast vor Hunger und Durst. Manche starben unterwegs, erreichten nie das ersehnte Land. Andere kamen an und nannten sich stolz Kolonisten. „Mein Mann ist gefahren ins Heu“ singen die Schauspieler das schelmische deutsche Volkslied, und der ganze Saal singt mit.

„Gleich bei der ersten Aufführung sangen die Zuschauer mit, wenn sie ein bekanntes Lied hörten“, erzählt Maria Warkentin. „Und das ist bis heute so geblieben: Wir singen und die Zuschauer stimmen ein.“

Das Stück „Der weite Weg zurück“ endet mit der Rückkehr der beiden Hauptdarsteller nach Deutschland. Maria liest aus einem Brief aus der Heimat: „Ihr habt es geschafft, nach Deutschland zu kommen. Uns geht’s hier ziemlich schlecht“, schreibt eine Verwandte. „Sagt bitte ehrlich: Fühlt Ihr Euch dort zu Hause?“ Maria lässt den Brief sinken und schaut erwartungsvoll ins Publikum. „Nein“, ist leise die Stimme eines alten Mannes im Saal zu hören. „Das passiert nicht.“ Einige Frauen wiederholen zögernd: „Passiert nicht.“

Da kann man nichts machen, die in Russland gelebten Jahre kann man weder aus dem Gedächtnis noch aus dem Herzen streichen. Die Machthaber waren nicht immer freundlich zu den Russlanddeutschen (allerdings nicht nur zu ihnen), aber mit den Nachbarn haben die Russlanddeutschen gemeinsam Hochzeiten und andere Feste gefeiert, und mit vielen Familien waren sie befreundet. Es hat etwas Symbolhaftes, wenn sie auch in Deutschland immer noch russische Lieder singen.
„Was stehst Du da und wiegst Dich im Wind, schmächtige Eberesche“ beginnen Maria und Peters leise russisch zu singen, und die Zuschauer singen mit.

Russische Barden, Schnadahüpferl, die Romanze „Nebliger Morgen, grauer Morgen“ und deutsche Volkslieder: In den Schicksalen dieser Volksgruppe hat sich alles miteinander vermischt. Für die Russlanddeutschen bedeutet Russland Filzstiefel und Strudel, Samowar und Prejps (der Gerstenkaffee im Dialekt der Mennoniten), Hopsa–Polka und russische Tänze. Hat es sich denn überhaupt gelohnt, nach Deutschland zurückzukehren? Vielleicht ist ja Russland ihr Schicksal?

Eine Antwort darauf hat die zehnjährige Lisa aus Marias Verwandtschaft. Das Mädchen ist schon in Berlin geboren: „Mein Zuhause ist in Deutschland.“ Keine Sekunde zögert sie, als Maria ihr die Frage auf der Bühne stellt.
„Die Grundidee dieses Stücks besteht darin: Was wir getan haben, haben wir für unsere Kinder getan. Sie haben jetzt hier ihre Heimat“, sagt Maria. „Unsere Tochter Charlotte hatte zuerst diese Rolle gespielt. Aber jetzt ist sie schon erwachsen und so suchen wir in jeder Stadt, in der wir auftreten, ein zehnjähriges Mädchen aus einer russlanddeutschen Familie und bitten sie, in dem Stück mitzuspielen. Glücklicherweise musste sich bisher keines der Kinder verstellen.“

Quelle: Юрий Костин: „Der weite Weg zurück («Долгая дорога домой»),
Jurij Kostin: „Der weite Weg zurück („Dolgaja doroga domoj“)“,
rusdeutsch.ru, Stand: 26. Februar 2009;
Übersetzung: Norbert Krallemann

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