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Erst geehrt und dann beseitigt

Zeitschrift würdigt Beitrag von Russlanddeutschen im Zweiten Weltkrieg

65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erscheint die regierungsamtliche Historien-Zeitschrift "Rodina" in Russland mit einem Beitrag, der die Rolle junger Russlanddeutscher im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht würdigt. Wird nun das verordnete Geschichtsbild eine Korrektur erfahren?

Berlin (30. April 2010) - Die Rolle russlanddeutscher Soldaten in der Roten Armee und bei der Niederschlagung des Nationalsozialismus ist bis heute ein unterdrücktes Kapitel in der russischen Geschichtsschreibung. Eine Minderheit, der zur Rechtfertigung von Verfolgung und Deportation unterstellt wurde, mit dem Kriegsfeind zu kollaborieren – loyale Soldaten aus den Reihen der Russlanddeutschen, die ihr Leben zu riskieren bereit waren, um den Angriff auf ihre Heimat abzuwehren: diese beiden Szenarien schlossen sich gegenseitig aus. Respekt - gar Würdigung - hatte auch dann noch keinen Platz im offiziellen Geschichtsbild, als die deutsche Bevölkerungsgruppe längst von dem Vorwurf des Verrats freigesprochen war.

Umso bemerkenswerter ist es, dass jetzt – zum 65. Jahrestag des Kriegsendes – die russische Zeitschrift „Rodina“ („Heimat“) in einem Beitrag über namentlich bekannte Deutsche in den Reihen der Roten Armee berichtet. Die Autoren Arkadij German und Igor Schulga, Historiker an der Universität von Saratow, enthalten sich dabei fast jeglicher Bewertung und stellen ihre Untersuchung zunächst als reine Faktensammlung vor.

Im sowjetischen Garten

Der Beitrag trägt den Titel „‘Faschistenschweine haben in unserem sowjetischen Garten nichts verloren‘ - Sowjetdeutsche an der Front und im Hinterland des Feindes“. Das Zitat geht auf einen russlanddeutschen Soldaten zurück, der von der Wehrmacht abgeworfene Flugblätter so kommentiert haben soll.

Zunächst widmen sich die Autoren den Verdiensten, die sich russlanddeutsche Soldaten in der Roten Armee erworben haben, häufig ausgezeichnet mit Orden und Ehrenzeichen für besondere Leistungen. Stalins Argwohn gegenüber der deutschen Minderheit an der Wolga und anderswo sorgte allerdings später dafür, dass binnen weniger Monate russlanddeutsche Offiziere und Soldaten fast ausnahmslos aus der Armee entfernt wurden. Nur Wenige blieben von den "Säuberungen" (German/ Schulga) verschont, sei es, dass sie einen russischen Namen trugen, sei es, dass sich militärische Vorgesetzte für sie eingesetzt hatten.

Neben den verbliebenen Soldaten in der Roten Armee gab es auch eine nicht näher bezifferte Zahl an Deutschstämmigen, die sich den Partisanen im Widerstand gegen die Wehrmacht angeschlossen hatten oder als Spione hinter den feindlichen Linien Informationen beschafften. Grund genug also, endlich einmal des Beitrags jener Russlanddeutschen zu gedenken, die im Widerstand gegen die Wehrmacht ihr Leben riskierten und auch verloren.

Dank an die Redaktion

Der Internationale Verband der deutschen Kultur (IVdK) in Moskau, eine der führenden Organisationen der russlanddeutschen Bevölkerungsgruppe, betrachtet die Veröffentlichung des Beitrags von German und Schulga als bedeutsames Ereignis und dankt der Rodina-Redaktion für das „bemerkenswerte Geschenk an die Russlanddeutschen“ zum Jahrestag des sowjetischen Sieges.

Die Publikumszeitschrift „Rodina“ war 1989 wiederbelebt worden und soll an die gleichnamige 1879 gegründete Publikation anknüpfen. Herausgeber sind Regierung und Präsidialverwaltung der Russischen Föderation. Im Kuratorium sitzen fast ausnahmslos Gouverneure der russischen Regionen. Erst auf Redaktionsebene finden sich Historiker und andere Fachleute für die Thematik des Blattes: Geschichte.

So kann angenommen werden, dass ihre Beiträge der offiziellen Geschichtspolitik der russischen Regierung nicht zuwiderlaufen – bekennt sich „Rodina“ doch zu dem auch in Russland umstrittenen Kampf gegen „Bestrebungen zur Verfälschung der Geschichte zum Nachteil der Interessen der Russländischen Föderation“. Eine gleichnamige Kommission hat die Aufgabe, die in sowjetischen Zeiten etablierte Erinnerungskultur gegen Versuche einer pluralistischen und demokratischen Erinnerungskultur zu verteidigen.

Geschichtsinterpretation

Ex-Oberst Arkadij German, der 32 Jahre in der sowjetischen und später der russischen Armee diente, ist Vorsitzender der „Internationalen Vereinigung zum Studium der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen“. Gemeinsam mit dem IVdK plant die Vereinigung für Oktober eine Fachkonferenz in Moskau, bei der auch die Frage auf der Tagesordnung stehen soll, wie künftige Generationen die Rolle der Russlanddeutschen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs im historischen Gedächtnis bewahren werden.

Die Betrachtung der jüngeren russlanddeutschen Geschichte, bei der die Minderheit vor allem als Opfer stalinistischer Terrorpolitik wahrgenommen wird, hat eine neue Facette erhalten. Auch wenn junge Russlanddeutsche in der Bereitschaft, ihr Land gegen den Einfall deutscher Invasoren zu verteidigen, vom Regime ebendieses Landes betrogen wurden, bleibt die Tatsache, dass es sie in offenbar stattlicher Anzahl gegeben hat.

Ihr Beitrag wurde jahrzehntelang verschwiegen. An der gleichsam regierungsamtlich verordneten Geschichtsinterpretation wird die Veröffentlichung wohl nicht viel ändern. Und auch für das staatliche Historienblatt „Rodina“ wird weiterhin gelten, dass in der Betrachtung russlanddeutscher Vergangenheit politisches Kalkül vor wissenschaftlichem Erkenntnisdrang rangieren könnte.
 
Links zum Thema
- zum Artikel in der Zeitschrift "Rodina"
 
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Jacob Schmal, 1941 letzter Sprecher des Wolgadeutschen Rundfunks in Engels, über Motive und enttäuschte Hoffnungen junger Russlanddeutscher in der sowjetischen Armee:

„Meine Altersgenossen und ich waren allesamt im Sinne der Partei als Komsomolzen erzogen worden, und wir hatten nur eins im Sinn: diesen verdammten Krieg zu beenden. Die wehrpflichtigen jungen Wolgadeutschen meldeten sich deshalb fast ausnahmslos an die Front - nicht weil sie dem sowjetischen Staat so ergeben waren, nein, wir wollten gegen Hitlerdeutschland marschieren, denn der Vormarsch der deutschen Truppen machte uns allen Angst.

Uns fiel auf, dass in der sowjetischen Presse mit keinem Wort erwähnt wurde, dass auch wolgadeutsche Soldaten an der Front kämpften. Mit einer einzigen Ausnahme: Am 24. August 1941 erschien die Jugendzeitung ‚Komsomolskaja Prawda‘ mit einem ganzseitigen Beitrag über den wolgadeutschen Soldaten Heinrich Hoffmann, der sich den deutschen Truppen widersetzt hatte und von ihnen getötet wurde.

Wir waren zunächst sehr erleichtert und glaubten an einen Sinneswandel bei Armee und Regierung. Doch das war ein Fehler. Die wolgadeutschen Soldaten wurden nach und nach aus der Armee entfernt, viele nach Sibirien deportiert, andere endeten in Baubrigaden und mussten dort Schwerstarbeit verrichten.“