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Foto: Red Spokes

Fortsetzung: „Ätch hebb Lächer in mine nije strömp“

 

 

Sprachwandel und Sprachkontakt

Rosenbergs besonderes Interesse gilt dem Grammatikverlust. So unterscheiden viele nicht zwischen Dativ und Akkusativ und sagen etwa „Ätch hebb Lächer in mine nije strömp“ (Ich habe Löcher „in meine neuen Strümpfe“ anstatt „in meinen neuen Strümpfen“). Zwar gebe es diese Entwicklung auch in einigen Dialekten innerhalb von Deutschland.

Jedoch den „explosionsartigen“ Kasusverlust in Sprachinseln erklären die Forscher damit, dass es in den Mehrheitssprachen wie dem Englisch in den USA oder Portugiesisch in Brasilien auch keine Fälle gibt. Der Vergleich mit russischen Sprachinseln zeigt allerdings, dass dies nicht die wichtigste Ursache sein kann: Obwohl im Russischen sechs Fälle unterschieden werden, findet im Deutschen der Grammatikabbau statt.

Umgeben von der Weite der zentralasiatischen Steppe oder abgeschottet durch die Dichte des lateinamerikanischen Waldes konnte sich die deutsche Sprache in vielen Sprachinseln aufgrund der Isolation 150 bis 200 Jahre erhalten. Heute sind diese Gebiete gut an die Mehrheitsgesellschaft angeschlossen, was auch zu einem anderen Sprachverhalten führt.

 

Während die deutsche Sprache in den russischen und brasilianischen Sprachinseln bei den Älteren noch stark verbreitet ist, so zeigen erste Ergebnisse, dass viele der Unter-40-Jährigen das Deutsche nur noch passiv beherrschen. Die mittlere Generation dagegen spricht oft sowohl Deutsch als auch die Mehrheitssprache.

Auch in Rotfront scheint die deutsche Sprache an Bedeutung zu verlieren. „Bis zur Unabhängigkeit Kyrgyzstans im Jahr 1991 war Rotfront ein rein deutsches Dorf. Dann sind viele nach Deutschland abgewandert“, erzählt Lategahn. „Heute leben noch in rund 30 Häusern Deutsche. Die Mehrheit der Dorfbevölkerung ist kirgisischer oder russischer Abstammung.“ So werde auf der Straße überwiegend russisch gesprochen.

Die Zukunft der Sprachinseln

Außer in bikulturellen Familien, wo sich das Deutsche häufig verliere, werde in den Familien unter den Älteren meist Deutsch gesprochen. Während viele Erwachsene die deutsche Identität an der Sprache festmachen, spielt dieser Aspekt nach Lategahns Einschätzung für die meisten Kinder und Jugendlichen keine große Rolle mehr. Untereinander sprechen sie Russisch, weil es ihnen leichter fällt. „Deutsch“, das weiß er als Deutschlehrer gut, „ist für viele von ihnen vor allem ein Schulfach. Und zwar ein anstrengendes und lästiges.“

Wie es mit der deutschen Sprache in den russischen und brasilianischen Sprachinseln weitergeht, ist ungewiss. Rosenberg ist aber sicher: Die im Projekt durchgeführten Aufnahmen werden früher oder später sehr wertvoll. „Möglicherweise“, so lautet nämlich Rosenbergs Prognose, „werden diese Daten in 20, 30 oder 40 Jahren nicht mehr zu erheben sein.“

die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Köln

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Links zum Thema
- Forschungsprojekt an der Europa-Universität Viadrina
- Deutschlehrer im kirgisischen Dorf Rot-Front
 
Ihre Meinung

Olesja, 15.01.2010 05:13:54:

Ich denke auch, dass diese Dialekte (plautdietsch,wolgadeutsch,riograndeser Hunsrück usw.) staatlicher Unterstützung bedürfen und gepflegt werden sollten. Das gilt natürlich auch für andere Dialekte und Sprachen, wie Creole,Azteca usw. Es sind Mischformen von Sprachen, die einen eigenen Charme haben,die heimelig sind. Ein Bindeglied zwischen den Kulturen, das man nicht durchschneiden sollte.

Maria, 13.01.2010 17:41:27:

Es ist traurig,dass in derartigen Artikeln zwar von der Ferne sozusagen beobachtet wird wie ein Dialekt abnimmt. Anstatt dessen wäre es wichtig, die Dialekte (die es noch gibt!) zu stützen und ihnen eine Möglichkeit zu bieten, zu überleben und zur Vielfalt der Länder beizutragen. Ich finde diese Dialekte schön und finde, sie sollten staatlich gefördert werden. Lesen Sie Octavio Paz' Meinung zu Sprachen.


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Impressionen aus Kyrgyzstan

Fotos: Red Spokes, London