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„Stimme im zivilgesellschaftlichen Miteinander“

Christoph Bergner: Europäischer Rahmen für die Aussiedlerpolitik
„Stimme im zivilgesellschaftlichen Miteinander“

Berlin (ORNIS) - Akzentverschiebung in der Aussiedlerpolitik: Der Aussiedlerbeauftragte Christoph Bergner will die Förderung deutscher Minderheiten in Europa verstärkt in die EU-Integrationspolitik einbinden. In Deutschland will der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium wirksamere Eingliederungshilfen für russlanddeutsche Aussiedler. Im ORNIS-Gespräch erläutert der CDU-Politiker auch, warum er für die Beibehaltung des Wohnortzuweisungsgesetzes eintritt.

Drei Gründe sind nach Ansicht des Aussiedlerbeauftragten Christoph Bergner dafür verantwortlich, dass heute drastisch weniger Aussiedler nach Deutschland kommen: Die verbesserte Wirtschaftslage in Russland und Kasachstan - Herkunftsgebiete der meisten Aussiedler - sowie die Unterstützung der Deutschstämmigen durch die Hilfenpolitik der Bundesregierung. „Eine wichtige Rolle spielt aber auch“, so Bergner weiter, „dass mit dem Zuwanderungsgesetz die Hürden für einen Aufnahmebescheid höher gelegt worden sind.“ Das seit Januar 2005 geltende Gesetz legt auch fest, welche Voraussetzungen Aussiedler für eine Einreise nach Deutschland erfüllen müssen. Dazu gehört, dass sie Deutschkenntnisse nachweisen müssen.

Seit Mai dieses Jahres können nichtdeutsche Familienangehörige nicht mehr gemeinsam mit den russlanddeutschen Antragstellern einreisen, wenn ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen, um den erforderlichen Sprachtest zu bestehen. In begründeten Ausnahmefällen allerdings, erläutert der Aussiedlerbeauftragte in einem Gespräch mit ORNIS, gibt es die Möglichkeit, dass die Kernfamilie dennoch gemeinsam nach Deutschland kommt. Darauf habe er sich „in einem mühsam erhandelten Kompromiss“ mit den Innenministern der Bundesländer vorläufig geeinigt. Die Innenministerkonferenz hatte sich zuvor für eine rigidere Einreisepolitik stark gemacht.

Sollten die Aussiedlerzahlen weiterhin so niedrig bleiben wie derzeit (1), dürfte auch die Regelung neu diskutiert werden, Russlanddeutschen nach ihrer Einreise einen Wohnort innerhalb Deutschlands zuzuweisen. Die Freizügigkeit der Wohnortwahl ist mit dem so genannten Wohnortzuweisungsgesetz eingeschränkt worden, um nicht zuletzt die finanzielle Belastung für die Bundesländer gerechter zu verteilen. Bergner setzt sich in der Debatte um eine mögliche Aufhebung dafür ein, das Gesetz beizubehalten, „und zwar aus dem einfachen Grund, dass selbst bei kleinen Zuwanderungszahlen die Gefahr besteht, dass es zu Konzentrationen an einem Ort kommen kann“. Die Vermeidung von sozialen Brennpunkten war ein vorrangiges Ziel bei der Verabschiedung des Wohnortzuweisungsgesetzes vor zehn Jahren.

Die sinkenden Aussiedlerzahlen ermöglichen nach Bergner intensivere Integrationshilfen. Diejenigen Menschen allerdings, die in den wirtschaftlich stabiler gewordenen Herkunftsländern bleiben wollen, sollen mehr als bisher dabei unterstützt werden, ihre kulturelle Identität zu bewahren. Auf seiner jüngsten Reise nach Kasachstan im Oktober habe er nicht zuletzt bei einem Treffen mit dem Deutschen Jugendverband den Eindruck gewonnen, dass auch in der jungen Generation „das ausgeprägte Bedürfnis besteht, sich zur deutschen Volkszugehörigkeit zu bekennen“. Künftig sollten sich daher die Aktivitäten zu Gunsten der deutschen Bevölkerungsgruppe stärker der Jugend zuwenden „im Sinne der Bewahrung und Förderung der russlanddeutschen Identität“, sagte der CDU-Politiker. Junge Leute müssten mehr Möglichkeiten bekommen, eine Bindung an die deutsche Sprache zu entwickeln. Er wolle sich auch dafür stark machen, dass mehr Russlanddeutsche in deutsche und europäische Jugendaustausch-Programme und akademische Förderprojekte einbezogen werden.

Überhaupt will Bergner der Aussiedlerpolitik künftig einen europäischen Rahmen geben. Die Förderung der deutschen Minderheiten in Osteuropa finde mit Ausnahme der GUS-Staaten in Ländern statt, die fast ausnahmslos zur Europäischen Union gehörten. Nach den Roma und der russischen Bevölkerungsgruppe beispielsweise in Deutschland und den baltischen Staaten stellen die Deutschstämmigen „die am weitesten verbreitete Minderheit in Europa“ dar. Deren Förderung könne im Interesse einer europäischen Integrationspolitik durchaus als EU-Aufgabe begriffen werden.

Unabhängig davon wird sich nach Bergner die Bundesregierung weiterhin für die deutschen Siedlungsschwerpunkte in Westsibirien - die Nationalen Rayons Asowo und Halbstadt - engagieren, vor allem auf dem Gebiet der Beratungshilfe. Bei den zuständigen russischen Gouverneuren hat Bergner „große Zustimmung gefunden für die Entwicklung der beiden Rayons“, die von den deutschstämmigen Bewohnern „praktisch selbst verwaltet“ werden. Da Westsibirien in der Wahrnehmung der meisten Bundesbürger eher ein Niemandsland sei, komme den Russlanddeutschen hier auch eine nicht zu unterschätzende Brückenfunktion zu.

Den russlanddeutschen Verbänden und Organisationen rät der Aussiedlerbeauftragte, stärker als „Stimme im zivilgesellschaftlichen Miteinander von Deutschland und Russland vernehmbar“ zu sein. Hier habe die russische Seite den Anfang gemacht, als sie bereits 2002 erstmals auch einen Vertreter der Russlanddeutschen zum Petersburger Dialog eingeladen habe. Heinrich Martens aus Moskau hatte damals als Herausgeber der ‚Moskauer Deutschen Zeitung’ teilgenommen und war in diesem Jahr erstmals als Leiter des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur (IVdK) in Dresden dabei.

Bergner möchte auf deutscher Seite „diesen ersten Einstieg weiter ausbauen“, indem auch ein Vertreter der russlanddeutschen Selbstorganisationen in Deutschland an dem jährlichen Treffen teilnimmt. Der Petersburger Dialog war 2001 von Präsident Wladimir Putin und dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder als breit angelegtes zivilgesellschaftliches Diskussionsforum zwischen Deutschland und Russland  ins Leben gerufen worden. Bergner: „Wir müssen sowohl in der russischen als auch in der deutschen Regierung Schritt für Schritt prüfen, ob es Wege gibt, Russlanddeutsche zu einem Element des Petersburger Dialogs zu machen.“ Denn: Die deutschstämmige Minderheit in Russland und Aussiedler in Deutschland sind Teil der Zivilgesellschaft. (© ORNIS/bg/us, 29.Dezember 2006)


(1) Noch nie seit Beginn der 1990er Jahre lag die Zahl der Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion so niedrig wie 2006. Bis Ende dieses Jahres erwartet das Bundesinnenministerium höchstens 8000 Deutschstämmige und Familienangehörige. 1994 waren knapp 222.600 Aussiedler eingereist. Danach setzte ein kontinuierlicher Rückgang ein. 1999 kamen noch über 100.000, im Jahr 2005 etwa 36.000 Personen.

 
Links zum Thema
- Internetseite des Aussiedlerbeauftragten
Audiobeitrag zum Thema
Der Aussiedlerbeauftragte zu sinkenden Zuwanderungszahlen (Länge: 0 min 56 sec)

Der Aussiedlerbeauftragte zur Kooperation mit Westsibirien (Länge: 0 min 45sec)

Der Aussiedlerbeauftragte zur Minderheitenpolitik in Europa (Länge: 0 min 42 sec)


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