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Spurensuche: Erinnerung an die Opfer der Repression

Ehemalige Gefangenenlager in Komi

Die Wege waren morastig, die Taiga undurchdringlich. Mitarbeiter der Gesellschaft „Freiheit“ aus Uchta in der Republik Komi suchten nach den Überresten eines ehemaligen Arbeitslagers – und wurden fündig. Hier waren in den 1940er Jahren auch Russlanddeutsche inhaftiert.

Uchta, im Oktober 2009 – Die Idee, am Ort eines ehemaligen Arbeitslagers eine Gedenkstätte zu errichten, kam den Mitgliedern der deutschen Gesellschaft „Freiheit“ in Uchta während ihrer Arbeit am Projekt „Erinnerung“. Erinnert werden soll an jene Tragödie, die am 28. August 1941 ihren Anfang nahm, als der unheilvolle Erlass zur Deportation der Deutschen aus der Wolgarepublik veröffentlicht wurde. […] 850.000 Menschen, ein ganze Bevölkerungsgruppe, Kinder und alte Menschen eingeschlossen, wurden zu „Verrätern der Heimat“ erklärt. Mit dem Erlass begann der Leidensweg der Russlanddeutschen: Lagerhaft, Demütigungen, Verbote und Einschränkungen. Tausende kamen in Stalins Lagern, in der Arbeitsarmee, ums Leben.

Teilnehmer des Projekts „Erinnerung“ machten sich in diesem Sommer auf die Suche nach den Spuren der Lagerinsassen von damals und kamen dabei in das kleine Dorf Borowaja, in dem heute noch Nachkommen ehemaliger Häftlinge, unter ihnen auch Russlanddeutsche, leben. […] Den Einwohnern fiel es nicht leicht, noch einmal die Erinnerungen an die schweren Jahre der Kindheit und an die Eltern wachzurufen, die das Leid jener Jahre durchmachen mussten, unter den rauen Bedingungen des Nordens im Wald schufteten, in Erdbunkern oder Gemeinschaftsbaracken hausten.

Nowaja Uchtarka

Immer wieder kam die Sprache auch auf das Lager, das sich hier in unmittelbarer Nähe befand. Es gab viele Gerüchte; von Hunderten erschossener Gefangener war die Rede. […] Ein alteingesessener Hobbyforscher, Wladlen Iwanowitsch Schuk, der sich mit der Geschichte der Lager um Uchta befasst hat, erklärte sich bereit, der Gruppe den Weg zum ehemaligen Lager von Nowaja Uchtarka zu zeigen. Wie sich herausstellte, hatte er 2005 den Grundstein für eine Gedenkstätte gelegt und gemeinsam mit Schülern aus der Region begonnen, aus alten Ofenrohren und Fenstergittern ein Denkmal zu gestalten. Seither war zwar niemand mehr dort gewesen, dennoch wurde beschlossen, das Andenken an die Lagerinsassen zu bewahren. […]

Man beschloss, vor Ort eine Gedenktafel anzubringen. Dazu bedurfte es einiger Vorbereitungen, denn der Weg zum damaligen Lager war morastig und schwer zugänglich. Einige Kilometer fuhren die Expeditionsteilnehmer mit einem Geländewagen, bis der Weg zu Fuß durch die undurchdringliche Taiga fortgesetzt werden musste. Unterwegs zeigte Wladlen Inwanowitsch auf etliche von Moos überwucherte Baumstümpfe - Anzeichen für die Existenz des Lagers. Hier waren die Bäume für den Bau der Erdbunker und Baracken gefällt worden.

die Suche nach dem früheren Lager glich fast einer Expedition ins Ungewisse

Keine Gräber gefunden

Schließlich erreichte die Gruppe das Gelände von Nowaja Uchtarka. Es war von hohem Gras überwuchert. Fast hätte es wie unberührte Natur gewirkt, wäre da nicht dieses Ensemble aus Eisenrohren und Gittern gewesen. Außerdem stießen die Expeditionsteilnehmer auf alte Fassreifen, verrostete Dosen, verrottete Ziegel, Nägel, verkohlte Baracken-Reste und anderes aus dunkler Vergangenheit.

Das ehemalige Haus des Aufsichtspersonals konnte an den Resten eines Lehmofens ausgemacht werden. Daneben hatte sich wohl ein kellerartiges Vorratsgebäude befunden, zu erkennen an rechteckigen Vertiefungen in der Erde. Spuren eines Zaunes oder einer anderen Begrenzung konnten nicht entdeckt werden. Allerdings wäre so etwas auch gar nicht nötig gewesen. Wie hätte man hier auch fliehen sollen, umgeben von Sumpf und unendlicher Taiga.

Gräber fanden sich auch nicht, handelte es sich doch um ein Aufnahme- und Verteilungslager, ein sogenanntes Isolationslager. Hier warteten die Häftlinge entweder auf ihr Urteil oder auf die nächste Etappe. Hier in der Isolation wurden die Menschen praktisch psychisch „getötet“. Hier waren nicht nur Deutsche, sondern auch viele Menschen anderer Nationalitäten inhaftiert. Ein grauenvoller Ort. Obwohl die Expedition bei strahlendem Sonnenschein stattfand, wirkte alles sehr düster.

Neue Pläne

Die verrosteten Ofenrohre der Gedenkstätte wurden mit roter, weißer und blauer Farbe gestrichen, und auf der Spitze des höchsten Rohres wurde die Gedenktafel mit der Aufschrift „Zur Erinnerung an die Opfer und Täter. Die Bürger der Republik Komi“ befestigt. Zuletzt wurden noch Blumensamen ausgebracht. Sollten sie aufgehen, werden hier im nächsten Jahr Vergissmeinnicht blühen.

Als alle Arbeiten abgeschlossen waren, hatten die Expeditionsteilnehmer das Gefühl, etwas Wichtiges getan zu haben. Von dem ehemaligen Lager gibt es kaum noch Spuren. Die Wege wachsen zu, die Zeitzeugen sterben weg. […]

Demnächst soll es auch eine Expedition in die ehemalige Frauenkolonie der Siedlung Woj–Wosch geben. Die Mitglieder der Organisation „Freiheit“ wollen  weiter nach Zeugnissen von Lagerhäftlingen in der Region Uchta suchen. „Wir wollen Augenzeugen ausfindig machen und in die Archive gehen. Damit wollen wir die Erinnerung an die Ereignisse von damals für unsere und die folgende Generation wachhalten“, sagt Wladimir Jagowkin, Vorsitzender der Gesellschaft „Freiheit“.

Quelle: „Виновным и безвинным от граждан Республики Коми“,
Vinovnym i bezvinnym ot grazdan Respubliki Komi“,
www.rusdeutsch.ru vom 30. September 2009;
Übersetzung: Norbert Krallemann

 
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