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„Sicherheit des öffentlichen Lebens“

Ein Unterrichtsfach und seine Kritiker
„Sicherheit des öffentlichen Lebens“ Svetlana Lokotaeva, Dozentin am Lehrstuhl „Sicherheit des öffentlichen Lebens“ an der Staatlichen Universität in Omsk
Foto: Wilhelm Siemers

Omsk (ORNIS) - Wie eine Kalaschnikow funktioniert, weiß jeder russische Student. Heute soll der militärische Drill an Schule und Universität weniger auf den Krieg vorbereiten. Vielmehr glauben die Befürworter, auf diese Weise das Sicherheitsdenken in der Bevölkerung zu festigen. Doch von dem Sinn des Pflichtfachs sind offenbar immer weniger Schüler und Studenten überzeugt.

Auf dem Schulhof ertönt die Pausenglocke. Doch die Schüler der neunten Klasse gehen nicht in ihr Klassenzimmer, sie laufen zum Sportplatz und bauen sich in Reih und Glied auf. Der Lehrer erscheint in Uniform und begrüßt die Versammelten. Die Jugendlichen erwidern den Gruß in militärischer Manier: laut brüllend. So oder ähnlich beginnt an russischen Schulen der Unterricht im Fach ‚Grundprinzipien der Sicherheit des öffentlichen Lebens’. Zu Sowjetzeiten hieß es noch unverblümt ‚Grundlagen der Kriegsvorbereitung’.

Mit der militärischen Ausbildung geht es nach der Schulzeit auch an der Universität weiter. Jetzt heißt das Fach ‚Sicherheit des öffentlichen Lebens’. Zur Teilnahme ist jeder Student verpflichtet, unabhängig vom Studienfach. So steht es im staatlichen Bildungsprogramm. Und was lernt man da? Auf dem Lehrplan stehen der Umgang mit allerlei Waffen sowie die Kenntnis von biologischen und chemischen Kampfstoffen. Der Unterricht folgt militärischen Gepflogenheiten: Die Studenten treten an, marschieren eine Runde in der Sporthalle, geordnet geht es dann in den Seminarraum zur Waffenkunde.

Wie wird das militärisch anmutende Training für russische Studenten begründet? „Jeder soll wissen, wie man sich schützt, wenn sich eine Katastrophe ereignet“, sagt Svetlana Lokotaeva. Die junge Dozentin am Lehrstuhl ‚Sicherheit des öffentlichen Lebens’ an der Staatlichen Universität im sibirischen Omsk hält die Ausbildung für existentiell notwendig. Und ihr Chef, Lehrstuhlleiter Stanislav Kovalev, weiß: „Das Fach ist nötig, weil es die Denkweise und das Verhältnis unserer Bürger zu Fragen der Sicherheit verändern kann“. Und nicht ohne Pathos fügt der 56-jährige Ex-Oberstleutnant hinzu: „Wir zeigen damit, dass Sicherheit das Wichtigste ist und dass diese eine Sache des Staates und der Gesellschaft ist.“

Atomunfall oder Chemiekatastrophe: Die Menschen sollen für den Ernstfall gewappnet sein - das ist die Devise. Und in den vergangenen Jahren ist noch ein weiterer Grund hinzugekommen: der Terrorismus. Doch rechtfertigt die Terrorgefahr eine derartige Ausbildung an der Universität? Viele Studenten sind da skeptisch. Für sie passt die Militarisierung des Studentenlebens nicht in die Zeit. Sie fühlen sich an den Kalten Krieg erinnert. Unter ihnen sind überzeugte Pazifisten, die nicht an den Übungen teilnehmen wollen. Doch wer sich weigert, für den ist das Studium beendet. Und das in Zeiten, in denen junge Männer auch in Russland Zivildienst statt den Dienst mit der Waffe leisten können.

Andere zweifeln schlichtweg am Sinn des Unternehmens. „Ich glaube nicht, dass ich die Übungen anwenden werde, wenn eine Katastrophe eintritt“, sagt die Studentin Larissa Schemetowa. Sie hat den militärischen Drill schon hinter sich. In Omsk sind fünf Chemiebetriebe angesiedelt, von denen bei einem Unfall Gefahr ausgehen könnte. In der unmittelbaren Gefahrenzone wohnt mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Die Studenten sollen im Rahmen des Faches berechnen lernen, welche Zone geschädigt wird und wie viele Menschen verletzt werden, wenn eines der Werke explodiert. „Ich kann die Auswirkung einer potenziellen Katastrophe kalkulieren“, sagt die Studentin. Doch dass dies etwas nützt, glaubt sie nicht. Stimmen werden daher laut, die sagen: Sinnvoll wäre es, die zuständigen Behörden für den Notfall besser auszurüsten und vorzubereiten. (© ORNIS/Olga Zasuhina,  29. Oktober 2006)


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