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Russlanddeutsche auf dem Prüfstand

Interesse an der deutschen Sprache weiterhin von Bedeutung

Immer mehr Angehörige der deutschen Minderheit in Russland leben in Städten. Die Auswanderung in den vergangenen Jahren betraf vor allem jene Siedlungsgebiete, in denen Russlanddeutsche kompakt lebten. Tatjana Ilarionova, Professorin an der Russischen Akademie für Öffentliche Verwaltung in Moskau, betrachtet die Ergebnisse einer Studie, die im vergangenen Jahr die soziale Lage der Russlanddeutschen bilanzierte.


Moskau, im Mai 2008 – Im Rahmen des VI. Forums der russlanddeutschen Begegnungszentren im Oktober vergangenen Jahres hat die Ethnoconsulting GmbH, gegründet vom Institut für Ethnologie und Anthropologie der Russischen Akademie der Wissenschaften, ein Monitoring durchgeführt, das von großer Bedeutung ist, weil hier Beobachtungen aus einer Vielzahl von Fragestellungen eingeflossen sind und versucht wurde, soziale und vom Wohnumfeld bestimmte Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen von Russlanddeutschen zu berücksichtigen.

Die vergleichende Analyse der Daten zeigt große Unterschiede zwischen den regionalen und den sozialen Gruppen von Russlanddeutschen. Der Grad der Urbanisierung der Russlanddeutschen liegt deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Das heißt, dass die Russlanddeutschen immer noch eine überwiegend ländlich geprägte Bevölkerungsgruppe sind. Und genau hier wurzeln auch die Widersprüche zwischen den hauptsächlich von städtischer Kultur geprägten Führungskräften der russlanddeutschen Organisationen und der in der Masse ländlichen Bevölkerung mit ihren teils völlig anderen Erwartungen und Lebenszielen.

Trotzdem nimmt der Grad der Urbanisierung der Russlanddeutschen zu. Nach Meinung der Experten beruht das jedoch hauptsächlich auf der Ausreise eines Großteils der Landbevölkerung nach Deutschland. Von der Migration sind in erster Linie die kompakten Siedlungsgebiete betroffen. Sehr ernüchternd wirken die Zahlen im Zusammenhang mit der Migration aus den deutschen Rayons. Im Verwaltungsgebiet Omsk ist die Zahl der Russlanddeutschen zwischen den Volkszählungen von 1989 und 2002 um 43,1 Prozent zurückgegangen, in der Altairegion um 37,8 Prozent. Diese Zahlen beweisen, dass der Faktor der kompakten Siedlungsform in den Jahren der Wirtschaftskrise und der sehr emotional geführten Diskussion ethnischer Probleme auf den Erhalt der ethnischen Gemeinschaft eher destruktiv gewirkt hat.

Dieses Paradoxon wiederum bestätigt diejenigen gesellschaftlichen Organisationen in ihrer Arbeit, die auf den höheren Sozialisierungsgrad der in Russland verstreut lebenden Deutschen gesetzt haben, für die nicht die Auswanderung das angestrebte Ziel ist und die trotzdem einen großen Bedarf an kultureller Förderung, an ethnischer Identität und Unterstützung bei der Pflege von Sprache und Traditionen haben.

Eine wichtige wissenschaftliche Beobachtung war auch, dass das Interesse an der Kultur und der Sprache der eigenen Volksgruppe hauptsächlich von ehrenamtlichen Kräften getragen wird. Die schulische Komponente der ethnisch orientierten kulturellen Bildung spielt im Leben der Dörfer und Siedlungen keine Rolle mehr. Umso höher ist der Wert der Arbeit einzuschätzen, die von den Begegnungszentren der Russlanddeutschen geleistet wird.

Als unabhängige Experten konnten die Verfasser des Monitorings auch auf die größten Probleme der Begegnungszentren aufmerksam machen. Als Hauptmangel wurde ausgemacht, dass es keine stabilen Nachrichtenleitungen für die Verbindung mit Moskau oder Deutschland, mit Menschen in benachbarten Orten oder anderen Regionen gibt.

Weiterhin haben die Experten den personellen und technischen Ausstattungsgrad der Begegnungszentren unter die Lupe genommen. Die Tatsache, dass weniger als zehn Prozent der Mitarbeiter fest angestellt sind, spricht für den hohen Organisationsgrad der gesellschaftlichen, also ehrenamtlichen Mitarbeit rund um die Begegnungszentren, stellt aber auch eine gewisse Gefahr dar, wie die Praxis häufig gezeigt hat. Beendet ein fest angestellter Mitarbeiter seine Tätigkeit, wird damit oft ein ganzer Zweig des Begegnungszentrums, in Einzelfällen sogar das ganze Zentrum lahm gelegt.

Bei der Analyse der sprachlichen Situation der Russlanddeutschen haben die Autoren der Studie festgestellt, dass das Interesse an Erhalt und Pflege der deutschen Sprache vorhanden ist, die Ressourcen dazu aber unzureichend sind. Für die Russlanddeutschen ist Russisch die Umgangssprache.

Ein ständiges Sorgenkind ist die Finanzierung der gesellschaftlichen Tätigkeit. Es steht außer Frage, dass nach neuen zuverlässigen Finanzierungsquellen gesucht werden muss. Die Russlanddeutschen werden nicht ewig auf staatliche Gelder bauen können, wie sie es bislang noch häufig tun. […]

Quelle: Татьяна Иларионова: »Оценка эксперта»,
Tat’jana Ilarionova: „Ocenka eksperta“,
Moskauer Deutsche Zeitung Nr. 9/2008, russ. Beilage S. V;
Übersetzung: Norbert Krallemann


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