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Letzter Sprecher des Wolgadeutschen Rundfunks gestorben

Letzter Sprecher des Wolgadeutschen Rundfunks gestorben Jacob Schmal in seiner Berliner Wohnung
Foto: Barbara Geier

Berlin (ORNIS) - Jacob Schmal, letzter Sprecher des Wolgadeutschen Rundfunks in Engels an der Wolga, ist am 12. Oktober 2002 verstorben. Im September 1941 war er gemeinsam mit tausenden Deutschen von der Wolga nach Sibirien deportiert worden. Schmal lebte seit 1997 gemeinsam mit seiner Frau in Berlin.

Das achte Lebensjahrzehnt hat er nicht mehr erreicht. „Seine Wallfahrt über diese Erde währte 79 Jahre. Sein Leben ging durch mehr Tiefen als durch Höhen“, sagte der evangelische Gemeindepfarrer auf dem Berliner Nazareth-Kirchhof am Grab von Jacob Schmal. Am 12. Oktober 2002 war in Berlin der letzte Sprecher des Wolgadeutschen Rundfunks gestorben. Fast hundert Menschen, Familienangehörige und Freunde, begleiteten ihn auf seinem letzten Weg, darunter seine Frau Anastasia und die beiden gemeinsamen Söhne, von denen einer im baschkirischen Ufa und einer in Berlin lebt, sowie die drei Töchter seiner ersten Frau, die alle ebenfalls nach Deutschland ausgesiedelt sind.

Jacob Schmal wurde am 26. September 1923 in der Ortschaft Grimm, rund hundert Kilometer südlich der Wolgastadt Saratow, geboren. Das Dorf war 1765 von Deutschen gegründet worden. Schmal war gerade 16 Jahre alt, als sich für ihn ein Traum erfüllte. Als jüngster Teilnehmer hatte er den Wettbewerb um den Posten des deutschen Sprechers beim Wolgadeutschen Rundfunk in Engels gewonnen: "Ich war im siebten Himmel, vor mir lag eine herrliche Zukunft." Das war im Mai 1940.

Der Albtraum begann indes, als Jacob Schmal noch nicht 18 Jahre alt war. Am 30. August 1941 war das Rundfunkgebäude umstellt, die Eingänge von Soldaten des Innenministeriums versperrt. Alle Sendungen waren abgesetzt, der Zutritt zum Sendesaal verboten. An den Zeitungskiosken der Stadt standen die Menschen Schlange, weil eine ungeheuerliche Nachricht die Runde machte. Jacob Schmal wurde geschickt, einige Exemplare zu kaufen. Umgeben von seinen Kollegen las er vor - den Text des Erlasses "Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen" vom 28. August, Schmal: "Und das war mein letzter Auftritt im Wolgadeutschen Rundfunk."

Im Pferch eines Eisenbahnwaggons Richtung Sibirien verließ er wenige Tage darauf Engels. Die Sowjetmacht hatte die Deportation der Wolgadeutschen verfügt. Schmal war unter den Ersten: "Wir stiegen ein mit ein paar Habseligkeiten, und die Russen standen am Rande, winkten uns verzweifelt zu und weinten." Jacob Schmal hat Lagerhaft und Trudarmee überlebt und den größten Teil seines Lebens in Ufa verbracht, wo er als Ingenieur in der Erdölindustrie tätig war. 1961 hatte er erstmals wieder die Gelegenheit, sein Heimatdorf Grimm zu besuchen – eine verwilderte Ödnis, in der ihn kaum noch etwas an die Jugendjahre erinnerte.

Seit 1997 lebte Schmal gemeinsam mit seiner Frau in Berlin. Im Jahr 1995 hatte er seine Lebenserinnerungen unter dem Titel "Den Kelch bis zur Neige geleert" (Moskau, Internationaler Verband der deutschen Kultur, 224 Seiten) veröffentlicht


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