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„Die Regierung fürchtet ihn“

Langjähriger Leiter des deutschen Theaters in Kasachstan verhaftet
„Die Regierung fürchtet ihn“ Bolat Atabajev

Die Opposition in Kasachstan fürchtet eine neue Welle der politischen Repression. Die Verhaftung der Theaterlegende Bulat Atabajev gilt ihr als weiterer Beleg. Atabajev steht der deutschen Minderheit in dem zentralasiatischen Land nahe und hat über Jahre das deutsche Theater in Almaty entscheidend geprägt.

Almaty, im Juni 2012 - Der kasachische Theaterregisseur Bolat Atabayev, dem das Goethe-Institut die diesjährige Goethe-Medaille zuerkannt hat, ist in Almaty verhaftet worden. „Wir sind bestürzt über die Nachricht“, sagte der Präsident des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann. „Wir hoffen nach wie vor, dass er die Goethe-Medaille Ende August in Weimar persönlich entgegennehmen kann.“

Nach Zeitungsberichten aus Almaty war die Festnahme vom Almalinskiy-Bezirksgericht der früheren Hauptstadt verfügt worden, nachdem Atabajew bereits seit einiger Zeit unter Hausarrest stand. Augenzeugen beobachteten, dass Atabajew am Morgen des 16. Juni gegen zehn Uhr sein Haus verließ und sogleich von zivil gekleideten Männern ergriffen und in ein Fahrzeug gestoßen wurde.

Bolat Atabajev

Ein Nachbar, Oleg Kuskov, berichtete darüber hinaus, erst als immer mehr Menschen zusammenliefen, hätten sich die Männer als Angehörige des Nationalen Sicherheitskomitees zu erkennen gegeben und die Umstehenden aufgefordert, Ruhe zu bewahren.

Noch am gleichen Tag wurde auch der Vorsitzende der Jugendorganisation „Rukh Pen Til“, Zhanbolat Mamay, verhaftet. Erst im April hatten die kasachischen Behörden Atabajev und Mamay untersagt, Kasachstan zu verlassen. Beide waren nach Brüssel eingeladen worden, um mit Abgeordneten des Europaparlaments über die politische Lage in dem zentralasiatischen Land zu diskutieren.

Hintergrund der Verhaftung ist Atabajevs Einsatz für streikende Erdölarbeiter in der Stadt Schanaosen. Dort waren bei Unruhen 13 Personen getötet und mehrere hundert verletzt worden. Vor zwei Wochen nun sind 34 Oppositionelle im Zusammenhang mit den Streiks verurteilt worden, 13 Angeklagte zu mehrjährigen Gefängnisstrafen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sprach von Verfahrensfehlern und zitierte Aussagen von Verurteilten, wonach sie in der Haft misshandelt worden seien.

Atabajev und Mamay protestierten gegen die Urteile und versagten den Ermittlungsbehörden jegliche Aussagen. Offenbar ging es darum, die beiden Beschuldigten nicht weiter zu behelligen, wenn sie zu belastenden Aussagen anderen Beschuldigten gegenüber bereit seien. Seit ihrem Besuch bei den streikenden Arbeitern in Schanaosen wird ihnen angelastet, zu sozialem Aufruhr angestachelt zu haben.

Article 19 ist eine Organisation, die sich für Meinungs- und Pressefreiheit einsetzt. Die Zentrale ist in London.

 

Atabajew, der seit mehr als 30 Jahren die Theater- und Kunstszene Kasachstans prägt, war einer der ersten Regisseure des Deutschen Theaters in Kasachstan. Er zählt zu den Mitbegründern des Theaters im Jahre 1980 in Temirtau und war dort lange Jahre als künstlerischer Leiter tätig.

Mit der Goethe-Medaille ehrt das Goethe-Institut in diesem Jahr Persönlichkeiten, die in ihrem kulturellen Schaffen für eine offene Aufarbeitung nationaler Traumata eintreten und auch gegenwärtige gesellschaftliche Schwierigkeiten thematisieren. Instituts-Chef Lehmann über Atabajew: „Er ist ein wichtiger Partner vor Ort und eine sehr bedeutende Figur im deutsch-kasachischen Kulturaustausch. Er hat die deutsch-kasachischen Theaterbeziehungen maßgeblich geprägt.“

Der kasachische Theaterregisseur wird für sein Lebenswerk mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Früh gewährte ihm die Nachbarschaft zur deutschen Minderheit einen Zugang zur deutschsprachigen Kultur und durch mehrere Deutschlandaufenthalte erhielt Atabayev Impulse für seine Arbeit. In seinem deutschsprachigen Stück „Lady Milford aus Almaty“ thematisiert er das Schicksal einer deutsch-kasachischen Schauspielerin, die nach Deutschland aussiedelt und keine qualifizierte Arbeit findet. Es wurde in beiden Ländern aufgeführt.

Bachyt Tumenova

Vor einigen Jahren gründete Atabayev sein eigenes Theater „Aksarai“, das die Theaterlandschaft Zentralasiens mit neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln bis heute bereichert.

Bachyt Tumenova, Leiterin der Stiftung „Aman Sauluk“, die sich in Gesundheitsfragen für benachteiligte Schichten Kasachstans einsetzt, sagte nach der Verhaftung Bolat Atabajevs: „Dieser Mensch ist dafür bekannt, wahrheitsliebend zu sein. Er ist furchtlos und hat die Unterstützung der Menschen. Und die Regierung fürchtet ihn.“ (Ulrich Stewen/Goethe-Institut)

 

Nachtrag: Anfang Juli ist  Bolat Atabajev aus der Haft entlassen worden. Zahlreiche Menschen in aller Welt hatten sich für ihn eingesetzt. Für Aufsehen hatte auch eine Aufführung vor der Botschaft Kasachstans gesorgt, mit der der junge Dramaturg Volker Schmidt gegen die Inhaftierung des bekannten Theaterregisseurs protestierte.

 
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"Kasachstan ist OSZE-Mitglied und damit demokratischen Prinzipien wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit verpflichtet. Ich erwarte, dass die kasachische Regierung ihre Verpflichtungen nun auch erfüllt.

Ich fordere die kasachischen Behörden auf, Bolat Atabayev unverzüglich frei zu lassen, das Verfahren gegen ihn einzustellen und ihm die Ausreise nach Weimar zur Entgegennahme der Goethe-Medaille zu ermöglichen."


Markus Löning
Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung
am 19. Juni 2012

"Es gibt ein Sprichwort bei uns: Leute, die mit einem Stein nach dir werfen, sollst du zum Essen einladen."

Bolat Atabajew, 2006
im Interview mit ZEITonline

„Die Bundesregierung wird den weiteren Verlauf genau beobachten“

Das Auswärtige Amt auf eine Anfrage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Bündnis90/Die Grünen
Brief des Außenministeriums