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Besprochen, aber nicht beigelegt

Konflikte unter russlanddeutschen Verbänden auf der Tagesordnung
Besprochen, aber nicht beigelegt Teilnehmer des Fachgesprächs
Foto: ORNIS

Es sollte ein offener Meinungsaustausch werden, und auch das Bild von der Brücke zwischen den widerstreitenden Positionen wurde bemüht. Die Erwartungen der Einladenden jedenfalls waren klar. Die Moskauer Vertretung der Konrad-Adenauer-Stiftung und das Deutsch-Russische Haus hatten russlanddeutsche Organisationen an einen Tisch gebeten, um gemeinsam nach Wegen aus dem Dauerzwist zu suchen. Das Ergebnis: Der Zwist ist geblieben, doch die Wege scheinen nicht länger versperrt.

Moskau, 1. Oktober – Das Fachgespräch, zu dem am 27. September gut 50 Teilnehmer ins Deutsch-Russische Haus in der Moskauer Malaja Pirogowskaja-Straße gekommen waren, stand nicht gerade unter einem Thema, das brisante Enthüllungen versprach: „Geschichte und Gegenwart der Russlanddeutschen in der russischen Gesellschaft“. Und Thomas Kunze, Russlandbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung, ließ die Höflichkeit des Gastgebers walten, als er zur Begrüßung den anwesenden Verbandsvertretern zurückhaltend bescheinigte, dass ihre Organisationen „nicht immer positiv kooperieren“.

Die Kluft zwischen den divergierenden Richtungen in der russlanddeutschen Verbandswelt besteht nicht erst seit gestern, und so betonte der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner, die Bedeutung der Aussprache: Seit Beginn seiner Amtszeit schwebe ihm vor, einmal gemeinsam mit den Verbänden der Russlanddeutschen zu erörtern, Konflikte zu überwinden, Kräfte zu bündeln und damit die Selbstorganisation der deutschen Minderheit in Russland voranzubringen.

Auch in anderen osteuropäischen Staaten – etwa in Ungarn -, aber auch in Kyrgyzstan und Kasachstan sei es trotz heftiger interner Debatten gelungen, die Interessen der deutschen Minderheiten in Dachverbänden zu organisieren. Gewiss, der russische Weg müsse nicht die gleiche Richtung nehmen, unabdingbar sei allerdings, meinte Bergner, „dass zwischen den Organisationen Verständigung herrscht und nicht gar Feindschaft“.

Heinrich Martens, Vorsitzender des Internationalen Verbands der deutschen Kultur

Zerstritten sind die russlanddeutschen Organisationen vor allem darüber, wie Identität, Tradition und Sprache der deutschen Minderheit bewahrt und gepflegt werden können, sowie in ihren Erwartungen an den russischen Staat, die vollständige Rehabilitierung der Bevölkerungsgruppe für erlittenes Unrecht und jahrzehntelange Benachteiligung zu erreichen. So unterstrich Heinrich Martens für den ‚Internationalen Verband der deutschen Kultur’ (IVdK), das einigende Band der Minderheit bestehe nicht mehr in der gemeinsamen Sprache oder einem gemeinsamen Territorium, vielmehr seien die Russlanddeutschen im vergangenen Jahrhundert zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden.

Um Gemeinsinn, aber auch Sprache und Traditionen zu erhalten, seien daher die Hunderte von Begegnungsstätten in den Herkunftsgebieten der Russlanddeutschen von herausragender Bedeutung. Hier gelte es, weitere Zentren zu schaffen und ihre Arbeit intensiver zu gestalten.

Martens beklagte das mangelnde Interesse des russischen Staates an einer vollständigen Rehabilitierung der Russlanddeutschen, auch sei nicht damit zu rechnen, dass die Minderheit jemals ein eigenes Territorium als Wiedergutmachung für die „gesetzeswidrige Wegnahme“ der autonomen Republik erhalte.

Derartige Forderungen allerdings weiterhin von russlanddeutscher Seite aufzustellen, sei rückwärts gewandt und perspektivlos, zumal die Deutschen in Russland heute keine Diskriminierung mehr zu erdulden hätten. Die Lage der Minderheit in Russland sei allerdings weit davon entfernt, als stabil zu gelten, und Hilfe von staatlicher Seite bleibe auf der Tagesordnung. Hier bekomme das jüngst erlassene Föderale Zielprogramm zur Unterstützung der Minderheit eine besondere Bedeutung.

Schließlich hob Martens die Rolle von Partnerschaften zwischen Begegnungsstätten der deutschen Minderheit und Gruppen und Verbänden in Deutschland hervor. Diese Zusammenarbeit stärke nicht nur die Begegnungszentren selbst, sondern stelle auch unter Beweis, dass die beteiligten Organisationen und Zusammenschlüsse Teil zivilgesellschaftlicher Gemeinsamkeit seien.

Viktor F. Baumgärtner, Vorsitzender der Föderalen Nationalen Kulturautonomie

Für die ‚Föderale Nationale Kulturautonomie’ (FNKA) referierte ihr Vorsitzender Viktor F. Baumgärtner und zeichnete noch einmal eindrucksvoll den Beitrag der Deutschen in Russland in den vergangenen drei Jahrhunderten nach. Heute allerdings nehme die russische Regierung die Forderungen der deutschen Minderheit nach Rehabilitierung kaum zur Kenntnis, die Rechtlosigkeit halte an und die deutsche Bevölkerungsgruppe sei in Russland weiterhin gesellschaftlich ausgeschlossen. Baumgärtner zitierte einschlägige Gesetze der Russischen Föderation zur Rehabilitation der Russlanddeutschen und fragte, warum der Minderheit dennoch die vollständige Wiedergutmachung vorenthalten werde.

Die krasse Benachteiligung werde dadurch noch verschlimmert, dass die Russlanddeutschen über zahlreiche Regionen des riesigen Landes verstreut lebten und so die gemeinsame Kultur keine Äußerung finden könne. Die FNKA scheint nach den Worten ihrer Sprecher vor allem den russischen Staat in der Fürsorgepflicht zu sehen und wirft ihm vor, hier seiner Aufgabe nicht  nachzukommen.

Um ein aktuelles Stimmungsbild unter Russlanddeutschen in der Russischen Föderation zu erhalten, führen FNKA-Mitarbeiter derzeit mit Unterstützung des Bundesinnenministeriums eine Umfrage in zahlreichen Gebieten durch, deren Ergebnis im März nächsten Jahres bei einer Konferenz in Moskau vorgestellt werden soll.

Nach Ansicht des Historikers Viktor Diesendorf, der sich demographischen Fragen der russlanddeutschen Bevölkerungsgruppe widmete, ist die Minderheit „in ein kritisches Stadium ihrer Existenz“ getreten. Noch nie habe sich eine deutsche Minderheit bei zerstreuter Siedlungsweise in der Diaspora erhalten können. Viele Russlanddeutsche wollten mittlerweile die früheren Verbannungsgebiete verlassen oder aus Regionen abwandern, „wo ernsthafte zwischennationale oder sozialökonomische Probleme bestehen“.

Der Historiker Arkadij German widersprach Forderungen nach einer politischen oder territorialen Autonomie und hob dagegen die beiden nationalen Landkreise in Westsibirien – Halbstadt und Asowo – hervor. Die Selbstorganisation der Russlanddeutschen zu stärken bedeute, die Rolle dieser Rayons und die Arbeit der Begegnungsstätten in den Herkunftsgebieten zu fördern.

„Die kulturelle Vielfalt, die auch durch nationale Minderheiten bestimmt wird, ist ein Wert, den wir erhalten wollen.“

Christoph Bergner
beim Moskauer Fachgespräch

Aussiedlerbeauftragter Christoph Bergner und die Leiterin des Deutsch-Russischen Hauses, Irina Hetsch

Der Aussiedlerbeauftragte Christoph Bergner schließlich gab der Verpflichtung zum Schutz von Minderheiten einen europäischen Rahmen und erinnerte an das Übereinkommen des Europarats, das auch von Russland ratifiziert worden ist. Danach verpflichten sich die Unterzeichner, „die Minderheit vor Assimilierung gegen ihren Willen zu schützen“ (Bergner). Natürlich bleibe es eine schwierige Aufgabe, in der Diaspora kulturelle Identität zu bewahren.

Der mehrstündige Austausch in Moskau hat nicht zu neuen Freundschaftsbeweisen zwischen den widerstreitenden Verbänden geführt.  Keine der beiden Seiten und ebenso wenig neutrale Beobachter hatten das zuvor erwartet. Und doch: Die Einladung des ‚Internationalen Verbandes der deutschen Kultur’ an die FNKA, beim bevorstehenden Forum der Begegnungsstätten Ende Oktober den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen und die Diskussion fortzusetzen, könnte mehr sein als ein geschickter Schachzug in der Auseinandersetzung. (us)

Audiobeitrag zum Thema
Der Aussiedlerbeauftragte zur Politik der Hilfe fuer Russlanddeutsche

Der Aussiedlerbeauftragte zur Rehabilitation der Russlanddeutschen

Der Aussiedlerbeauftragte zu Fragen der Erinnerungskultur

Der Historiker Viktor Diesendorf zur Zukunft der Russlanddeutschen
 
Downloads
- Grusswort des Aussiedlerbeauftragten zum Fachgespraech

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Links zum Thema
- Rehabilitierung bleibt auf der Tagesordnung (Bergner)

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„Hinter dem Wunsch nach Rehabilitierung der Russlanddeutschen steht für uns der Wunsch nach einem Verständigungs- und Friedenswerk. Deutschland hat das große Interesse, eine strategische Partnerschaft mit der Russischen Föderation dauerhaft zu begründen.“

Christoph Bergner
beim Moskauer Fachgespräch