ORNIS-PRESS
ORNIS-PRESS
ORNIS-RSSORNIS-RSS|ORNIS InfoBriefORNIS InfoBrief|  

Sie sind hier: Startseite ›› Themen und Berichte ›› Kultur

Schrift: kleiner | normal | größer

Aus kleinen Anfängen …

Maria und Albert Schewe ebnen Wege zur Kunst
Aus kleinen Anfängen … Maria und Albert Schewe
Foto: Tatjana Marschanskich

Cloppenburg (ORNIS) – In Cloppenburg kennt man Albert und Maria Schewe. Aus kleinen Anfängen haben sie es geschafft, Jung und Alt für die Kunst zu interessieren. Tatjana Marschanskich hat sie besucht. Eine Woche lang hatte sie sich kürzlich unter Aussiedlern in Niedersachsen umgeschaut - gemeinsam mit Kommilitonen der Staatlichen Universität Tomsk. Sie wollten wissen, wie der Alltag ihrer früheren Landsleute in Deutschland aussieht. Ein facettenreiches Bild ist dabei entstanden – der Blick von außen. In mehreren Aufsätzen haben sie ihre Erkundigungen für ORNIS niedergeschrieben – die sibirische Perspektive.

Von Tatjana Marschanskich

Die Eheleute Schewe sind im niedersächsischen Cloppenburg vielen Einwohnern bekannt. Und nicht nur, weil sie aus dem für Europäer weit entfernten und geheimnisvollen Sibirien gekommen sind. Ursache für ihre Bekanntheit ist die Kunstschule, die Albert und Maria Schewe gegründet haben. Diese Schule besuchen dreijährige Kinder ebenso wie Erwachsene, unter ihnen viele Zugereiste.

Eigentlich waren die ersten Schritte in Deutschland für Albert und Maria Schewe mehr als mühsam. Das Ehepaar aus Omsk hatte sich den Alltag einfacher vorgestellt, als sie Anfang der neunziger Jahre nach Deutschland kamen. An seiner Arbeitsstelle in einer Fahrradfabrik hatte Albert nur kurze Zeit Freude. Nach der Kündigung musste das Arbeitslosegeld für beide reichen. Damals hatte Maria die rettende Idee: Sie schlug vor, eine kleine Galerie zu eröffnen und Bilder von Malern aus der Umgebung zu verkaufen.

Das Geschäft lief von Anfang an gut, und in der Galerie wurde zusätzlich noch ein Fotoatelier eröffnet. Das Geld, das sie damit verdienten, reichte fürs Leben, und doch kam Maria Schewe eines Tages auf die Idee, eine Kunstschule zu gründen. Ein eigenes Geschäft in einem fremden Land zu beginnen, ist keine leichte Aufgabe. „Wir haben doch keine  Fachausbildung“, hatte Albert damals eingewandt, und: „Ich habe das letzte Mal in der Schule einen Pinsel in der Hand gehalten – also vor fast einem halben Jahrhundert.“ „Das macht nichts“, habe seine Frau entgegnet, „wir werden die Schule leiten, und die Lehrer werden wir schon finden.“

Als die ersten Schüler kamen, fand der Unterricht noch in einen Schuppen statt. Für geeignete Schulräume fehlte das Geld. Bei Nacht fertigte Albert Staffeleien aus Holz. Und während er sich als Zimmermann versuchte, machte seine Frau Renovierungsarbeiten. Dann haben sie zusammen einfache Werbeblätter für ihre Schule geschrieben und diese selbst in Briefkästen gesteckt. Damals gab es nur eine Lehrerein für alle Schüler. Viele Nachbarn waren skeptisch und meinten, all die Mühe würde sich wohl schließlich nicht lohnen. Andere wiederum halfen und stellten ihnen bald Räume in Schulen und Kindergärten gratis zur Verfügung.

Heute ist die Kunstschule der Schewes eine weithin bekannte Einrichtung in Niedersachsen. Vor kurzem haben Albert und Maria noch zwei Filialen in Nachbarstädten eröffnet. Die Zeiten des hölzernen Schuppens liegen lange zurück, heute findet der Unterricht in einem prächtigen zweistöckigen Haus statt. In den vergangenen zehn Jahren haben sich hier über dreitausend Menschen Kunstkenntnisse erworben. In der Schule unterrichten derzeit sechs Lehrerinnen und Lehrer – bis auf einen stammen alle aus Sibirien. Der einheimische Lehrer hat die Moskauer Kunstakademie besucht und ist mit einer Russin verheiratet.

Auch Ludmila Schulz kam aus Omsk nach Cloppenburg. In Russland hat sie technisches Zeichnen in einer Mittelschule unterrichtet, in Cloppenburg gibt sie Abendkurse: Zeichnen für Erwachsene. „Diese Tätigkeit war für mich neu“, sagt sie, „zuerst hatte ich Angst, Erwachsene zu unterrichten, ich dachte nämlich, man brauche dazu einen anderen Ansatz.“

Und tagsüber sind die Kleinen und ganz Kleinen da. „In Russland darf man die Kunstschule erst ab sieben Jahre besuchen“, sagt Maria Schewe und fügt hinzu: „Ich glaube, das ist falsch, denn schon mit drei versteht das Kind viel und ist schon bildungsfähig.“ Die Bilder der Kleinen genießen die gleiche Aufmerksamkeit wie die Werke der Erwachsenen, umso mehr, als sie auch nicht selten ausgestellt werden. Die kleinen Kinder unterrichtet Maria Schewe selbst, in Russland hat sie als Zeichenlehrerin gearbeitet.

In die Kunstschule darf man jederzeit kommen. Hier gibt es keine klassischen Unterrichtseinheiten. Aber es gibt ein Programm mit Themen, die obligatorisch sind. Darunter auch eine Vorlesungsreihe zur Kunstgeschichte. Nach dem Studium helfen die Schewes den Schülern, eine Mappe mit Arbeiten, Zeugnissen und Empfehlungsschreiben zusammenzustellen. Und dann drücken sie ihren Schützlingen die Daumen, wenn sie sich an Hochschulen und Universitäten für Kunst immatrikulieren.

Bei Ausstellungen der Kunstschule stehen die besten Arbeiten häufig zum Verkauf. Das war zu Anfang nicht leicht zu organisieren, denn Ausstellungsräume zu bekommen kostet Geld. So hat Albert Schewe erreicht, dass in einigen Gemeinden die Rathäuser für die Werke der Schüler geöffnet wurden. Auch in Banken, Krankenhäusern und Behörden kann man immer wieder Ausstellungen der Kunstschule sehen.

Albert und Maria sind bereits über sechzig, aber an Ruhestand denken sie nicht. Sie verbringen ihre ganze Zeit, von neun bis zwanzig Uhr in der Schule, und manchmal übernachten sie sogar dort. (© ORNIS/Tatjana Marschanskich, 24. April 2007)

 
Links zum Thema
- Kunstschule Schewe im Internet

Nach oben
Artikel bookmarken:
Diese Seite zu Mister Wong hinzufügen My Yahoo