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"In vielen Fällen missraten"

Das Westfalen-Blatt tut sich schwer mit Russlanddeutschen

Das in Bielefeld erscheinende Westfalen-Blatt hat so seine eigene Vorstellung davon, was Russlanddeutsche sind. Jedenfalls nichts Gutes. Und wenn sie mit dem Gesetz in Konflikt kommen, so liegt das zu allem Übel am russischen Kulturerbe. Zumutbar? Unzumutbar, meint ORNIS und hat protestiert.

Berlin, im Mai 2010 - Nordrhein-Westfalen hat in den vergangenen Jahren mehr Aussiedler aufgenommen als andere Bundesländer. So gibt es keine Region, die mehr Erfahrung im Zusammenleben mit den Deutschen aus Russland, Kasachstan und anderen Ländern hat. Erstaunlich also, dass für das Westfalen-Blatt Aussiedler immer noch so fremd zu sein scheinen, dass man sich in der Redaktion ein eigenes - höchst absonderliches - Bild von Russlanddeutschen zurechtlegt.

In einem Bericht über eine Fachkonferenz in Bielefeld, die sich mit Hilfen für junge straffällig gewordene Spätaussiedler beschäftigte und an der Experten diverser sozialer Einrichtungen teilnahmen, schmückt der Autor des Westfalen-Blatts seine Auslassungen mit allerlei Erkenntnissen über das Wesen der Russlanddeutschen.

So wird dem Leser unumwunden mitgeteilt, die wodkageschwängerte Kultur Russlands habe die deutsche Minderheit wohl derart geprägt, dass heute vor allem Suff und Randale unter Aussiedlern angesagt sind. In der Tat: Zu solchen Aussagen braucht es den Mut zu unbekümmerter Schlichtheit, braucht es die Bereitschaft, der alltäglichen Wirklichkeit blindlings die Stirn zu bieten.

Ist es nicht völlig belanglos angesichts Unmengen von Studien zu allen Facetten russlanddeutschen Lebens in Deutschland, wenn ein Regionalblatt - Motto: "die Informative" - mit einer Auflage von knapp 122.000 Exemplaren seinen Lesern ein X für ein U vormacht und über eine Bevölkerungsgruppe Ungeheuerlichkeiten verbreitet?

Ist es nicht! Deshalb hat ORNIS dem Westfalen-Blatt geschrieben und nachgefragt, ob es nicht angebracht sei, gegenüber einer verunglimpften Minderheit ein Wort des Bedauerns zu finden:

"... Der Berichterstatter des Westfalen-Blatts allerdings versteigt sich zu Mutmaßungen, Behauptungen und vermeintlichen Erkenntnissen über Russlanddeutsche, die in ihrer pauschalen Verunglimpfung durchaus ein Fall für den Deutschen Presserat sein könnten.

Abgesehen von offensichtlichem Unfug („Im Jahr 2004 waren lediglich noch 20 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen deutschstämmig.“) und den Experten zugeschobenen Falschaussagen etwa über den Zustand der russischen Gesellschaft („Das Betrunkensein ist in Russland völlig normal.“) kommt der Berichterstatter zu der Erkenntnis, die Integration vieler Russlanddeutscher in die deutsche Gesellschaft müsse als „missraten“ betrachtet werden – vermutlich meint er ‚misslungen'.

Wohlgemerkt: Der Autor spricht durchgängig von Spätaussiedlern oder Russlanddeutschen. Seine Darstellung bezieht sich somit auf die Gesamtheit der Bevölkerungsgruppe, selbst wenn sich hin und wieder einschränkende Zusätze („viele“, „in vielen Fällen“) finden. Nicht erwähnt wird, dass sich die Fachtagung mit einer Problemgruppe jugendlicher Aussiedler beschäftigte und wohl manche Aussagen der Experten sich auf diese Gruppe bezogen.

So ist nun im Westfalen-Blatt zu lesen: Unter russlanddeutschen Aussiedlern sind Gewalttaten „an der Tagesordnung“, das russlanddeutsche Familienleben wird bestimmt durch Brutalität und einen exzessiven Alkoholkonsum sowie von einem „verachtenden Frauenbild“. Aus diesem Grund ist Kriminalität unter Spätaussiedlern für den Autor keine Überraschung, denn in derartigen sozialen Verhältnissen seien Straftaten „eine zwangsläufige Folge“.

Diese Auslassungen erfüllen den Tatbestand der schweren Verunglimpfung einer Minderheit und können dazu beitragen, dass die angestrebte Eintracht zwischen Einheimischen und Zugewanderten Schaden nimmt. Wer Angehörige einer Bevölkerungsgruppe nach Art Ihres Berichts brandmarkt und den Deutschen aus Russland zum Vorwurf macht, eine unheilvolle kulturelle Prägung in Russland sei für ein Scheitern von Integration verantwortlich, spielt das Spiel der dumpfen Teile der extremen Rechten, die in der Vergangenheit Übergriffe auf Russlanddeutsche mit derartigen Vorhaltungen rechtfertigten.

Für das Westfalen-Blatt kommt noch hinzu: In Ihrem Erscheinungsgebiet lebt seit vielen Jahren eine große Aussiedler-Gemeinde, von deren Alltag man in der Redaktion offenbar keinen blassen Schimmer hat. ..."
 
Links zum Thema
- Pressemeldung zur Fachtagung über Hilfe für Straffällige
- Presserat rügt: Russlanddeutsche diskriminiert
 
Ihre Meinung

Max Schulz, 06.02.2012 21:06:13:

War schon echt überrascht,daß es solcherart Artikel gibt.Pressefreiheit ist ein hohes Gut,bedeutet aber deshalb hohe Verantwortung beim Schreiben.Danke.T

Roman K, 29.07.2010 10:28:32:

Ich bin empört. Das ist eine Pauschalisierung die ich ehrlich gesagt von einer Zeitung mit so einem Auslageblatt nicht erwartet hätte. Mit Sicherheit gibt es krimminelle Russlandsdeutsche genau so wie es auch krimminelle Einheimische gibt. Doch der überwiegende Teil der Russlandsdeutschen sind fleissig und tragen sehr viel zur Gesellschaft in der BRD bei.

eichelberg, 15.06.2010 10:23:21:

"Die Integration vieler Russlanddeutscher in die deutsche Gesellschaft ist in vielen Fällen missraten" - ? "Gewalttaten sind nicht eben selten an der Tagesordnung" - ? und zum Schluß noch eine Wunderzeitreise durch die russische Geschichte - ? Was kann man alles auf so einer Fachtagung erfahren...


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