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In Russisch für Deutsch werben?

Randnotiz zu einem Sprachlehrerforum in Moskau

Ende Juni hatte der Internationale Verband der deutschen Kultur (IVdK) zu einem fünftägigen Deutschlehrerforum nach Moskau eingeladen. Bei der vom Bundesinnenministerium mitfinanzierten Veranstaltung ging es darum, wie Sprache zur Bewahrung der russlanddeutschen Identität beitragen kann. Der Sprachforscher Dieter Stellmacher war Teilnehmer des Forums. Der frühere Professor für Dialektologie an der Universität Göttingen stellte erstaunt fest, dass sich die versammelten Sprachlehrer über die deutsche Sprache durchweg in Russisch verständigten:

Göttingen, im Juli 2011 - Zwei oder mehr Sprachen zu meistern - gar in Wort und Schrift -, ist erstrebenswert und sollte gepflegt werden. Dass allerdings die beiden oder gar mehrere Sprachen niemals in gleichem Umfang beherscht und gebraucht werden, bestreitet in der Forschung zur Mehrsprachigkeit heute niemand mehr. Immer gibt es eine Sprache, die man doch besser zu handhaben versteht oder die man der anderen gefühlsmäßig vorzieht. Diese ist dann die Identitätssprache.

Für solche Unterscheidungen finden sich in der Sprachwissenschaft verschiedene Fachbegriffe: Je nachdem, wie weitgehend die Sprachen beherrscht werden, spricht man von Bilingualismus und Diglossie. Und je nachdem, wie und bei welchen Gelegenheiten die jeweilige Sprache benutzt wird, spricht man von Objekt- und Metasprache. Bilingualismus unterstellt die unterschiedslose Beherrschung zweier Sprachen - eine Illusion, die der Wirklichkeit nicht standhält. Diglottes Sprachverhalten lässt sich dagegen allerorten beobachten, etwa wenn jemand eine Sprache im privaten Umfeld bevorzugt, eine andere dagegen dann einsetzt, wenn es beispielsweise amtlich-offiziell wird.

Damit ist die weitere Unterscheidung berührt, die sprachwissenschaftlich zwischen Objektsprache und Metasprache gemacht wird. Eine Objektsprache ist die Sprache, die erforscht wird, die unterrichtet wird und die man erlernt. Die Metasprache dagegen ist die Sprache, die man benutzt, um die Objektsprache überhaupt erörtern zu können - etwa in der Metasprache Russisch über die Objektsprache Deutsch spricht oder umgekehrt.

Solches habe ich in meiner Spracharbeit mit dem Niederdeutschen (Plattdeutschen) in Norddeutschland oft erlebt. Man spricht über das Niederdeutsche, bedient sich dabei aber des Hochdeutschen. Nicht selten zum Bedauern derjenigen, für die das Niederdeutsche die Sprache des Herzens ist. Und das ist mir auch wieder auf dem Moskauer Deutschlehrer-Forum aufgefallen. Überwiegend ist die Objektsprache Deutsch auf Russisch thematisiert worden.

Das soll nicht getadelt sein, doch merkwürdig mutet es schon an, wenn etwa leidenschaftlich zum Gebrauch der Objektsprache Deutsch aufgerufen wird – in der Metasprache Russisch! Das ist ein Widerspruch, über den nachzudenken lohnt, nicht nur in Russland oder in (Nord-)Deutschland. Ebenso bei den Russlanddeutschen und allen Angehörigen von Regional- und Minderheitensprachen, die ihre Identitätssprachen doch nicht mehr zu verleugnen brauchen. Im Gegenteil: Mit der Sprachenwahl lässt sich sehr erfolgreich sprachpolitische Basisarbeit leisten.

Dr. Dieter Stellmacher, Göttingen
 
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Professor Dieter Stellmacher, Jahrgang 1939, ist Germanist und Fachmann für niederdeutsche Dialekte. Von 1976 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 lehrte er an der Universität Göttingen. Mit seinen Beiträgen zur so genannten Sprachinselforschung hat sich Stellmacher auch in Russland einen Namen gemacht und ist dafür 2007 mit der Ehrendoktorwürde der Staatlichen Pädagogischen Astafjew-Universität Krasnojarsk ausgezeichnet worden.