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Verkehrte Parallelwelten

Der Aussiedlerbeauftragte macht Station in Molbergen

Knapp vier Wochen vor den Kommunalwahlen in Niedersachsen hat der Aussiedlerbeauftragte Christoph Bergner eine Hochburg der Aussiedler im Landkreis Cloppenburg besucht: Molbergen. Toll fand Bergner die Integrationsbemühungen der Gemeinde. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.

Berlin, im August 2011 – Die Stimmzettel für die Kommunalwahlen in Niedersachsen am 11. September sind gedruckt und ausgeliefert. Im Kreishaus von Cloppenburg liegen 130.000 jener roten Papiere für die Kreistagswahl bereit. Zum Wahlbereich III gehört auch die Gemeinde Molbergen mit ihren 7.600 Einwohnern, die vornehmlich Landwirtschaft betreiben oder in kleinen Unternehmen bäuerliche Produkte weiterverarbeiten.

Und so sind auch die Gemeinschaftsaktivitäten der fünf Dutzend Vereine Molbergens eher bodenständig. Im August steht noch die Fahrradtour der Schützenschwestern an, das Großturnier des Pool-Billard-Clubs und „Teichangeln für alle“. Nicht aufgeführt im Veranstaltungskalender ist ein Ereignis, das die Nordwest-Zeitung dieser Tage als „hohen Besuch“ bezeichnete. Der Aussiedlerbeauftragte Christoph Bergner hatte sich am 18. August eigens von Berlin auf die 450 Kilometer lange Reise begeben, um einigen Molbergenern einen Besuch abzustatten, der, so lässt sich vermuten, womöglich nicht frei von politischen Hintergedanken war.

In Molbergen gibt es den Heimatverein der Deutschen aus Russland. Und das ist gut so, denn jeder zweite Einwohner entstammt einer Aussiedlerfamilie; auch im übrigen Kreisgebiet leben zahlreiche Russlanddeutsche – 20 Prozent der Bevölkerung – oder Nachfahren von Zuwanderern aus der früheren Sowjetunion. Bürgermeister Ludger Möller wusste zur Begrüßung des Aussiedlerbeauftragten nur Gutes über die neuen Bürger zu berichten, ohne die beispielsweise „der Immobilienmarkt und die Steuereinnahmen leiden würden“.

Also mochte der Parlamentarische Staatssekretär aus Berlin nicht zurückstehen und lobte seinerseits die Integrationsbemühungen der Gemeinde Molbergen. Mehr wusste der Chronist der örtlichen Presse von der Landpartie des Politikers nicht zu berichten, sieht man einmal von der Information ab, der Mann aus dem Innenministerium habe „zu aktuellen Fragen Stellung“ genommen.

Was hat nun der „hohe Besuch“ mit den anstehenden Kommunalwahlen in Niedersachen zu tun? Vermutlich nichts, denn für die Christdemokratische Partei Bergners ist Molbergen seit langem ein sicherer Hafen – 18 von 20 Sitzen im Gemeinderat werden von der CDU gestellt. Da braucht man keine Schützenhilfe von der Berliner Politprominenz. Es sei denn, man müsse sich sorgen, dass russlanddeutsche Stammwähler – wie Studien nahelegen – der CDU immer häufiger von der Fahne gehen.

Leiterin des Heimatvereins der Deutschen aus Russland: Nadja Kurz

Die Geschäftsführerin des Heimatvereins heißt Nadja Kurz. 1988 war sie mit Eltern und Geschwistern aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Damals gab es noch kaum Aussiedler im Landkreis. In den Jahren darauf, als verstärkt Zuwanderer aus der Ex-UdSSR in die Region kamen, unterstützte sie ihre Landleute bei den ersten Gehversuchen in Deutschland. Das ehrenamtliche Engagement mündete 1994 schließlich in den Heimatverein, der heute – mit Unterstützung von Gemeinde und Landkreis – ein breites Beratungsangebot bereithält.

Für die CDU sitzt Ndaja Kurz auch im Gemeinderat von Molbergen und leitet die Geschicke des örtlichen Verwaltungsausschusses. Für die Kommunalwahlen im September strebt sie nun erneut ein Ratsmandat an, und da nimmt sich der Besuch eines Parteifreundes aus Berlin beizeiten durchaus günstig aus.

Vielleicht wäre auch von Vorteil gewesen, wenn sich der Aussiedlerbeauftragte an seinem ersten Arbeitstag nach dem Sommerurlaub etwas mehr Zeit für die Belange der Integration in Molbergen hätte nehmen können. Wie steht es um das Zusammenleben von Alteingesessenen und den Neubürgern aus Russland und Kasachstan? In Molbergen geht das Wort von der Parallelgesellschaft um – und daran haben nicht nur die russlanddeutschen Neubürger mitgewirkt.

Es ist noch nicht lange her, das berichtete Nadja Kurz, wie es ihr ergangen sei, als sie zum ersten Mal in den Gemeinderat gewählt worden war. Damals, erzählte sie, haben die Nachbarn aufgehört, sie zu grüßen. So scheint die friedliche Koexistenz von Alteingesessenen und Aussiedlern nur deshalb reibungslos zu sein, weil sich beide Seiten in ihr jeweiliges Schneckenhaus zurückgezogen haben. Es kommt auf die Perspektive an, wenn man von Parallelgesellschaft spricht.

Gewiss, längst nicht alle Aussiedler schauen über den Tellerrand, so wie Nadja Kurz und zahlreiche andere. Da gibt es die erzkonservativen Evangeliumschristen, denen jeder Kontakt mit der Außenwelt ein Gräuel ist und die nach innen hin ein strenges Regiment von Verboten und Auflagen zu führen scheinen.

Eine Region, zwei Welten. Da mutet es ebenso rührend wie hilflos an, wenn Bürgermeister Möller dem Heimatverein zum Jahresende die örtliche Mehrzweckhalle überlässt, um bei adventlichem Kinderfest „Väterchen Frost“ zu begrüßen. Und wenn Nadja Kurz das Ereignis bereits als Beitrag zur Integration verstehen will, dann ist Molbergen im Zusammenwachsen der beiden Welten noch nicht weit gekommen.

Ein Schritt zu einem neuen Selbstverständnis wäre zum Beispiel, wenn auf der Internetseite des Ortes Molbergen der Heimatverein der Deutschen aus Russland in der langen Liste der ortsansässigen Vereine nicht fehlen würde. Ein Versäumnis? Schon möglich. Ein Anruf des Aussiedlerbeauftragten in Molbergen könnte das wohl von heute auf morgen klären. (Ulrich Stewen)

 

 
Ihre Meinung

Lajma Oszkinat, 25.03.2012 19:59:08:

Da stimme ich Herrn Max Schulz zu, dass die Sprache eine wichtige Rolle für die GUTE Integration spiele!!!Aber dass die hier lebende Russlanddeutsche untereinander oft nur russisch sprechen (WARUM NICHT?), stört der Integration am wenigsten, meiner Meinung nach. Sie sind die bestintegrierte Gruppe der Zugewanderten in Deutschland. Mehrsprachigkeit ist ein Gewinn und nicht ein Hindernis.VG

Max Schulz, 20.02.2012 22:41:27:

Zu Integration:Für eine gute Integration spielt Sprache eine wichtige Rolle,ich muß aber sehr oft feststellen,daß viele hier lebende Rußlanddeutsche vorwiegend untereinander oft nur russisch sprechen.Halte ich für nicht so optimal.M.S.Ein deutscher Leser.Viel Erfolg für Ihre Zeitung.


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