ORNIS-PRESS
ORNIS-PRESS
ORNIS-RSSORNIS-RSS|ORNIS InfoBriefORNIS InfoBrief|  

Sie sind hier: Startseite ›› Themen und Berichte ›› Geschichte

Schrift: kleiner | normal | größer

„Wenn ihr kommen wollt, dann kommt bald“

Eine Rückkehr mit ungewissem Ausgang

Johann Peter Luft forderte seine russlanddeutschen Landsleute in den USA geradezu inständig auf, in die Ukraine zurückzukehren, um dort gemeinsam Landwirtschaft zu betreiben. Das war 1924. Diejenigen, die seinem Ruf gefolgt sein sollten, werden ein knappes Jahrzehnt später ihren Entschluss bitter bereut haben.

Berlin, Januar 2012 - Es sollte noch fast zehn Jahre dauern, bis die große Hungersnot den Süden der Ukraine erreichte. Johann Peter Luft hatte sich 1923 mit seiner Familie aufgemacht, im Gebiet Odessa Landwirtschaft zu betreiben. Im Jahr zuvor war die Ukraine der soeben gegründeten Sowjetunion angeschlossen worden. Über den Rückwanderer aus Denver ist nicht viel mehr bekannt als jener Brief an russlanddeutsche Landsleute in den USA, ihre Zelte dort wieder abzubrechen und in die Ukraine zu kommen.

Die Regierung in Moskau hatte 1923 eine Politik der Öffnung gegenüber nationalen Minderheiten beschlossen, die allerdings nur wenige Jahre dauern sollte. Wieviele Deutsche, die in den Jahrzehnten zuvor aus Russland in die USA ausgewandert waren – über 1,5 Millionen -, das politische Tauwetter in der jungen Sowjetunion zur Rückkehr veranlasst hat, ist nicht bekannt. Die deutschsprachige Zeitung „Welt-Post“ hat den Brief von Johann Peter Luft in der Rubrik „Briefe aus Rußland“ am 24. April 1924 veröffentlicht:

Katherina die Große - Denkmal in Odessa

Odessaer Gebiet, 17. Februar. – An Peter Herder, Denver, Colorado -
Ihr werten Landsleute in Amerika!

Wie denen in Denver bekannt ist, bin ich am 17. September 1923 von Denver, Colo., abgefahren auf meinem Wege nach Rußland. Nun kann ich Euch bekannt machen, daß ich mit meiner Familie im Odessaer Governement angekommen bin. In meinem vorigen Brief an meinen Bruder Johann Georg schrieb ich schon etwas über unsere Verhältnisse. Ob er dies aber an die Oeffentlichkeit gebracht hat, weiß ich nicht.

So lasse ich Euch nun wissen, durch diesen Brief, den Ihr in der Welt-Post veröffentlichen sollt, daß wir jetzt ein anderes Landgut bekommen haben, das früher zu den Besitztümern des Karl Liebknecht gehörte. Es wohnen 40 Familien auf dem Platz und für 500 Familien ist noch Wohnung auf dem Platz. Die Gebäude sind nicht aus Backsteinen gebaut: Ihr werde ja wissen, wie die Edelleute gebaut hatten. Alles ist mit elektrischer Beleuchtung versehen, aber die Drähte sind fast alle herausgerissen. Maschinen haben wir mehr als die Leute, die jetzt auf dem Landgut sind, hantieren können. Da sind 5 große Dampfmaschinen, 6 Dreschmaschinen, 5 Traktors aus Amerika. Alles, was jetzt noch fehlt, ist mehr Mannschaft, um alles zu betreiben.

Ich kann nicht alles ganz genau beschreiben, aber um Euch einen Begriff zu geben, will ich doch einiges anführen. Einen Obstgarten haben wir hier, der 30 Deßjatin Land umfaßt. Da sind 3.000 Aepfelbäume, 3.000 Kirschenbäume, 3.000 Aprikosenbäume, viele Hasel- und Welschnußbäume. Einen Weingarten haben wir, aus dem sie sehr viele Reben ausgerissen haben. Wir haben auch einen guten Gärtner, der früher bei dem Gutsbesitzer gedient hat und ist jetzt bei uns geblieben. Er rechnet, daß der Garten noch 700 Eimer Wein eintragen kann. 2 Werste von unserer Wohnung haben wir einen Wald, der 160 Deßjatin Land umfaßt.

Lieber Freund Herder! Deine Schwester in Newark, New Jersey, hat nun so viel blauen Dunst über Waldverhältnisse in Rußland erzählt, daß es mir noch in den Augen beißt. Sie sagte nämlich, daß es keinen Wald mehr in Rußland gäbe. Aber höre: Von Libau bis nach Moskau habe ich mehr Wald gesehen, als ich je in Amerika gesehen habe.

Brief von Johann Wagner aus Frank im Wolgagebiet (1924):

„Unter solchen Umständen ist es sehr schwer zu leben“
Nach den Hungerjahren an der Wolga

Russlanddeutsche in Nordamerika und die Hungerbriefe aus Russland:

Vor 90 Jahren: Hungerbriefe aus Russland
Russlanddeutsche in den USA kamen zu Hilfe

Nun etwas über die Witterung. Wir haben viel Schnee. Leute hier sagen, daß sie in 30 Jahren nicht so viel gehabt haben. Der Schnee ist sehr wässerig, und wenn man die Erde vom Schnee befreit, so sieht man das grüne Gras unter dem Schnee. Unsere Wohnungen sind bei dem Garten, daß es eine Freude ist, wenn man in der Türe steht und seine Augen im Ausblick über die Bäume weidet.

Unsere Kinder sind gesund, wie Fische im Wasser. Von Diphteria ist hier keine Spur mehr. Nun will ich Euch bekannt geben, wie viel Frucht wir auszusäen gedenken. Unser Plan ist, 300 Deßjatin Winterweizen, 500 Deßjatin Sommerweizen und 100 Deßjatin Korn zu säen. Geerntet haben die Leute bis 100 Pud von der Deßjatin Land. Steuer brauchen wir das erste Jahr keine zu bezahlen. Das zweite und dritte Jahr müssen wir ein Pud Getreide von der Deßjatin bezahlen. Die Leute aber, die noch an die alte Regierung glauben, müssen doppelte Steuer bezahlen. Somit könnt Ihr sehen, daß wir keinen Zaren mehr in Rußland haben.

Was die Lebensmittel anbelangt, da müssen wir noch kaufen. Aber Brot verdient unsere Feuermühle (Dampfmühle, Red.) genug, daß wir keins kaufen brauchen. Bis noch vier Monate verflossen sind, dann brauchen wir nichts mehr zu kaufen. Jetzt, lieben Freunde, wenn Ihr kommen wollt, dann kommt bald: nämlich Lukas Butz, Johann Georg Nazarenus. Auch Georg Peter Butz soll kommen, hier braucht Ihr nicht mehr an den Streik zu gehen und werdet besser versorgt, als an der Burlington Eisenbahn. Wir brauchen allein etwa 60 alte Männer, um im Obstgarten zu arbeiten.

Auch Alexander Herder, der Dicke, soll kommen, denn wir brauchen einen Müller. So verkauft alle Eure Sachen und kommt alle, ich rate Euch nicht zu Eurem Nachteil, sondern zum Guten. Eine Lehrerin haben wir, die lehrt unsere Kinder deutsch und russisch. Der alte Heinrich Mohr soll auch kommen, er ist gut im Garten zu arbeiten. Schreibt an Joseph Holtz,  1756 Bodine St., Philadelphia, Pa. Wenn Ihr mit der Kompagnie kommt, könnt Ihr alles mitnehmen, was Ihr wollt, da werden Eure Sachen nicht untersucht. Versorgt Euch mit Kleidung, die Ihr in Amerika oder auch in Moskau für amerikanische Dollar kaufen könnt. Wenn Ihr herkommt, werdet Ihr staunen und sagen: ich hätte die Hälfte noch nicht geschrieben.

Mit Gruß an alle Landsleute schließe ich,
Johann Peter Luft

Quelle: Die Welt-Post, Donnerstag, den 24. April 1924


Weitere Fotos zum Artikel



Nach oben
Artikel bookmarken:
Diese Seite zu Mister Wong hinzufügen My Yahoo


Erläuterungen

1 Werst  = 1,0668 Kilometer

1 Dessjatin  =  1,1 Hektar

1 Pud  =  16,38 Kilogramm



Die Welt-Post

Die Welt-Post wurde von vielen russlanddeutschen Einwanderern in den USA und Kanada gelesen. Die deutschsprachige Wochenzeitung erschien vom 13. April 1916 bis 18. September 1970.

Ursprünglich wurde das Blatt in Lincoln, Nebraska gedruckt, seit 1919 zusätzlich in Omaha, Nebraska. Ab Juli 1958 erschien die Zeitung ausschließlich in Omaha. 1970 schloss sich "Die Welt-Post" mit anderen deutschsprachigen Zeitungen zusammen unter dem Namen „Die Welt-Post und der Staatsanzeiger“.

Ausgaben bis 1966 sind als Mikrofilm einsehbar im Bestand der  Kongress-Bibliothek in Washington.

siehe auch
The Center for Volga German Studies