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Mittler zwischen den Kulturen

Herold Belger erhält das Bundesverdienstkreuz

Herold Belger - Erzähler, Essayist, Übersetzer, Literaturkritiker und Publizist - ist am 3. März in Almaty mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland gewürdigt worden. Für seine literarischen Leistungen und sein bürgerschaftliches Engagement wurde er bereits mit den höchsten Auszeichnungen in seinem Land geehrt.

Almaty, im März 2010 - Über Jahrzehnte setzte sich Belger für die Belange der deutschen Minderheit in der ehemaligen Sowjetunion und insbesondere in Kasachstan ein. Als kritischer Publizist scheut er auch die öffentliche Auseinandersetzung nicht. Belger ist Mitbegründer des kasachischen P.E.N. und Mitglied des Nationalrates für Staatspolitik beim Präsidenten Kasachstans.

Der Verdienstorden der Bundesrepublik würdigt ihn als Repräsentanten der Deutschen, als Befürworter der deutschen Kultur in Kasachstan, aber auch als schöpferischen Mittler zwischen den drei Kulturen – der deutschen, kasachischen und russischen.

Herold Belger wurde am 28. Oktober 1934 in Engels/Gebiet Saratow geboren, der damaligen Hauptstadt der Autonomen Republik der Wolgadeutschen. Seine erste Muttersprache war Russisch. Als er zu den Großeltern nach Mannheim an der Wolga geschickt wurde, lernte er den dortigen Dialekt, der dem Hessischen ähnelt.

Mit der Deportation der Wolgadeutschen 1941 verschlug es den Sechsjährigen mit seinem Vater nach Kasachstan, wo er nun Kasachisch lernte. Diese drei Sprachen haben seinen Lebens- und Schaffensweg entscheidend geprägt.

Verfolgung und Deportation hinterließen auch in Belgers Familie tiefe Spuren. Sein Großvater väterlicherseits starb bereits 1921 an Hunger. Dessen sieben Kinder, darunter auch Belgers Vater, erlebten die Deportation; alle Onkel kamen in der Arbeitsarmee ums Leben, die Schwestern starben an den Folgen der Schwerstarbeit danach.

Im Alter von zwölf Jahren erkrankte Belger und war danach fast drei Jahrzehnte auf Gehhilfen angewiesen. Aber noch schlimmer als die heimtückische Krankheit empfand er die allgegenwärtige Diskriminierung - die regelmäßige Meldepflicht und die totale Entrechtung. „Mein ganzes Wesen rebellierte gegen diese Unterdrückung“, beschreibt er das damalige Gefühl.

Herold Belger beendete eine kasachische Mittelschule und träumte von einem Studium – für einen Deutschen damals unerreichbar. Im Eigenstudium las er sich ein beträchtliches Wissen an. „Alles in meinem Leben habe ich durch harte Arbeit erreicht. Es hat mich viel Mühe gekostet, Schriftsteller zu werden. Ich kann nicht sagen, dass ich vom Schicksal geliebt wurde. Erfolg und Anerkennung habe ich in erster Linie gewonnen, weil ich die kasachische Sprache gut beherrsche“, sagt er rückblickend.

Herold Belger bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes
Bild: Olesja Klimenko

Erst nach Stalins Tod 1953 kommt Hoffnung auf. Der junge Belger verfasst Briefe und Anträge an alle möglichen Stellen und Behörden mit dem Ziel, eine Studienerlaubnis zu erhalten. 1954 wird er trotz glänzend bestandener Prüfungen an der Abai-Hochschule in Alma-Ata abgewiesen – wegen seiner deutschen Herkunft.

Doch der Hartnäckige hatte auch mutige Förderer. Belger erhielt schließlich die Möglichkeit, an der russisch-kasachischen Abteilung der Kasachischen Abai-Hochschule Philologie zu studieren und beschäftigte sich bereits als Student mit Sprachforschung. Nach dem Studium wurde er zunächst Schullehrer, Mitarbeiter an der Abai-Hochschule und ab 1964 freischaffender Schriftsteller.

Bedeutendes leistete Belger auch als Übersetzer aus dem Kasachischen ins Russische und als Literaturkritiker. Seine Werke wurden ausgezeichnet und mit zahlreichen Literaturpreisen gewürdigt.

Oft stehen russlanddeutsche Autoren und russlanddeutsche Literatur im Mittelpunkt seiner literaturwissenschaftlichen Essays. Belger übersetzt Werke russlanddeutscher Autoren ins Russische, so die Arbeiten von Alexander Reimgen, Nelly Wacker, Ernst Kontschak und Viktor Klein - insgesamt über 20 Titel.

Mit dem Band „Russlanddeutsche Schriftsteller. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“ hat Belger versucht, russlanddeutsche Autoren der Vor- und Nachkriegszeit in einem Nachschlagewerk vorzustellen: Die russische Fassung erschien 1995 in Alma-Ata, die deutsche (erweiterte) Ausgabe 1999 in Übersetzung von Erika Voigt in Berlin (edition ost).

Herold Belger

Leben und leben lernen,
kämpfen und bekämpfen
Verluste von Freunden,
Not und Leid
Zähneknirschend dämpfen.
Und nicht aufgeben!
Das sind Belgers Prinzipien
Das ist sein Leben.

Man nennt ihn der „letzte“ Kasache.
Stimmt nicht –
Denn in seinem Herzen und Wort
Sind der kasachische Geist
Und das deutsche Blut,
die sengende Steppensonnenglut,
Auf Unrecht die Wut,
des Adlers hoher Flug.
Sein Werk ist
unser gemeinsames Gut.

Als Deutscher geboren
Beider Völker der Sohn.
Lebe noch lange
Schenk uns
mit jedem Herzensschlage
das Schöne und das Klare,
Du, Herold,
der Kasache, der wahre.

Von Adilbek Alzhanov,
Gesandter der Botschaft der Republik Kasachstan,
am 23. November 2009 in Berlin über Herold Belger

„Das habe ich als meine Bürgerpflicht angesehen. Menschen verschwinden, gehen weg, werden verschwiegen... Ich kannte persönlich etwa hundert unserer bedeutendsten Nachkriegsliteraten. Ich habe tausende Briefe geschrieben und bewahre tausende Antwortbriefe auf“, erzählt Belger.

Der 75-Jährige bedauert, dass die Deutschen und mit ihnen eine einzigartige Kultur aus Kasachstan unwiderruflich zu verschwinden drohen. Etwa 300.000 von ehedem einer Million leben noch in dem mittelasiatischen Land. Unwiderruflich zerstört sind inzwischen auch die ohnehin bescheidenen Ansätze für eine deutsche Literatur. Sie findet jetzt in Deutschland statt.

Trotz der großen Entfernung pflegt Belger zahlreiche Kontakte nach Deutschland und verfolgt aufmerksam die Entwicklungen in der Literaturszene der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Und er nimmt oft Werke russlanddeutscher Autoren unter die Lupe.

„Das Leben hat uns voneinander getrennt, und ich fühle mich irgendwie verlassen, was den deutschen Teil betrifft. Ich sage immer, dass ich mich als Hüter der deutschen Gräber in Kasachstan empfinde“, sagt der Schriftsteller. Und zwar „nicht, weil es sich schön anhört, sondern weil ich nicht weggehen möchte“. (Nina Paulsen)

 


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Die freudenreiche Wohnstatt des Heimatlosen

Ende 2009 ist Belgers jüngster Roman „Das Haus des Heimatlosen“ - das russische Original erschien 2003 unter dem Titel „Dom skitalza“ - in der Reihe „Kasachische Bibliothek“ in der deutschen Übersetzung von Kristiane Lichtenfeld erschienen.

Herold Belger vermittelt die Erfahrungen und Sichtweisen zweier deutscher Familien in den Jahren 1941 bis 1956, die es mit der Deportation nach Kasachstan verschlagen hat. Es ist in vieler Hinsicht ein autobiografisches Werk.

Die Geschichte: David Ehrlich verliert durch die Deportation Frau und Sohn, weil seine russische Frau sein Schicksal nicht teilen will. In Kasachstan wird ihm als Arztgehilfe eine Sanitätsstelle für mehrere Steppensiedlungen übertragen.  In der Fremde gewinnt er – nicht ohne Widerstände – bald das Vertrauen und das Ansehen der einfachen Menschen.

Christian, Davids jüngerer Bruder, erlebt die Hölle der Arbeitsarmee in der sibirischen Taiga. Mit seiner Kenntnis der Geschichte und Kultur der Wolgadeutschen wird er für David zur Symbolfigur für die verlorene Heimat. In der ebenfalls deportierten Familie Walter begegnet David der jungen Olkje, mit der er leben wird.

Olkjes Bruder Harry, der mit besten Ergebnissen die kasachische Dorfschule abschließt, lässt keine Möglichkeit zu höherer Bildung unversucht, die allerdings den auf ihre Sondersiedlung beschränkten Deutschen verwehrt ist.

Harrys Gedanken und Gefühle, während er später mitten in Alma-Ata kurz vor dem entscheidenden Abschnitt seines Lebens steht, sind schicksalhaft: „Harry fühlte sich plötzlich leicht und beschwingt. Lange stand er, auf die Krücken gestützt, auf dem sonnenüberfluteten Bahnhofsvorplatz und genoss blinzelnd den Anblick der fernen Berge.

Sie beeindruckten durch ihre Riesenhaftigkeit und ihre scheinbare Nähe. Für ihn, den Steppenmenschen, war dies alles neu. Hier werde ich endlich Erfolg haben, dachte er unverhofft - natürlich, hier geht es voran. Von dieser Ahnung wurde ihm vollends leicht ums Herz…. Nein, hier ginge er bestimmt nicht verloren. Dies war keine Stadt, sondern das Paradies. Die grüne Insel. Der Garten Eden. Die freudenreiche Wohnstatt des Heimatlosen.“

In dem Augenblick ahnte er jedoch noch nicht, dass ihm dieser Erfolg nicht so einfach in den Schoß fallen würde.


Herold Belger
Das Haus des Heimatlosen
übersetzt von Kristiane Lichtenfeld
Berlin (Verlag Hans Schiler) 2010
420 Seiten, Preis 29,90 Euro
ISBN 978-3-89930-261-5