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Von Hessen nach Sibirien und zurück

Eine ungewöhnliche Ausstellung russlanddeutscher Geschichte
Von Hessen nach Sibirien und zurück Foto: Nina Paulsen

Einst als kleine Privatsammlung in Sibirien gestartet, sprengen heute die über zweitausend Exponate das Scheunenmuseum im hessischen Nidda. Die Ausstellung des Lehrers Reinhold Zielke bezeugt den langen Weg vieler Russlanddeutscher aus Hessen nach Russland und wieder zurück.

 

Nidda, im März 2009 - Angefangen hat alles mit einer kleinen Sammlung von zumeist Alltagsgegenständen. Noch im heimatlichen Schöntal bei Omsk - heute: Nowoskatowka - hatte Reinhold Zielke begonnen, Zeugnisse russlanddeutscher Kulturgeschichte zu sammeln. Die meisten Bücher - wertvolle Folianten – stammten aus der umfangreichen Bibliothek seines Vaters, des Deutschlehrers und Dichters Alexander Zielke. In Schöntal hatte Reinhold Zielke in einem Schulraum ein Museumsarchiv eingerichtet. Es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, gelang ihm aber erst in der Perestroika-Zeit.

Seit Ende 1990 leben Reinhold und Amalia Zielke mit ihren vier Kindern und deren Familien in Deutschland. Der Zufall wollte es, dass sie ausgerechnet in jenem Nidda in Hessen landeten, aus dem 240 Jahre zuvor ihre Vorfahren an die Wolga aufgebrochen waren. Auch andere Familien aus den Orten Nidda, Eichelsdorf und Schotten sind von der Wolga über Sibirien und Kasachstan hierher zurückgekehrt.

Einiges aus der ursprünglichen Sammlung in Sibirien konnte die Familie mitbringen, darunter viele Bücher aus der Bibliothek von Alexander Zielke, Briefe, Fotos, Zeitungsberichte, Handarbeiten, Musikinstrumente und altes Handwerkzeug. Mit der kleinen Sammlung zum Thema „Aus einem Dorf in Sibirien“, die mit der Zeit immer umfangreicher wurde, zog Zielke mit Unterstützung seiner Familie von Ort zu Ort. Er war in Büdingen, Wiesbaden, Stuttgart, Berlin, Leipzig, Fulda, Gießen und vielen anderen Städten und Ortschaften, vor allem bei Treffen und Veranstaltungen der Russlanddeutschen.

In Nidda konnte Zielke dank der Unterstützung des Schulleiters Richard Waltz ab 1991 sieben Jahre lang an der Grundschule Nidda unterrichten, wo man eine Fördergruppe für Aussiedlerkinder eingerichtet hatte. Hier traf Zielke auf den damaligen Konrektor der Schule, Stadtarchivar und Museumsleiter Wilhelm Wagner, von dem er aufschlussreiche Unterlagen über die Auswanderung der Niddaer im Jahr 1766 erhielt, die 60 Kilometer nordwestlich der Wolgastadt Saratow das große Dorf Jagodnaja Poljana gegründet haben. Reinhold Zielke fand später heraus, dass dieses Dorf bei der Gründung 1767 den Namen Reinhardt trug, weil so der erste Dorfvorsteher hieß.

Der geschichtliche Teil der Ausstellung ist der umfangreichste. Er umfasst seltene Bücher zur Geschichte der deutschen Kolonien in verschiedenen Regionen Russlands, Listen der Auswanderer aus deutschen Landen, Monographien zur Geschichte der wolgadeutschen und Mennonitenkolonien, alte Lehrbücher und Werke zur Musikgeschichte der Russlanddeutschen. Auch Werke wie „Die Auswanderung der Deutschen an die Wolga“ von Gottfried Bauer (Saratow 1908) oder der „Wolgadeutsche Sprachatlas“ des russlanddeutschen Sprachforschers Georg Dinges aus den Jahren 1925-1929 mit Sprachkarten der Dialekte gehören zu den Raritäten.

Sein Stolz bleibt nach wie vor die Bibliothek des Vaters, darunter hundert Jahre alte Bücher, oder die Sammlung von Bibel- und Gesangbüchern, alle älter als hundert Jahre, herausgegeben in Leipzig, Göttingen oder Stuttgart, Saratow, Riga und Odessa. Es finden sich in der Ausstellung aber auch persönliche Erinnerungen, Familiengeschichten, Dokumente, Gedichte, alte Fotos, Bilder von Künstlern, Kleidungsstücke, Zeugnisse der Handwerkerkunst und Dutzende handgefertigter Bücher, in denen Heimatdichter, herausragende russlanddeutsche Familien, Wissenschaftler oder Künstler verewigt sind.

Und das Museum wächst weiter: Landsleute, die die Sammlung einmal besichtigt haben, bringen von ihren Reisen in die alte Heimat oft etwas mit. Zielke bekommt Post aus ganz Deutschland, aus Amerika und aus Russland. Er wünscht sich sehnlichst, dass sein Lebenswerk einmal angemessene Räume findet und allen offen steht, die mehr über die russlanddeutsche Geschichte erfahren möchten. (Nina Paulsen)

Kontakt:
Reinhold und Amalia Zielke
Darmstädter Straße 16
63543 Neuberg
Tel.: 06183–89 98 88

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