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„… der Dritte erst hat Brot“

Russlanddeutsche Einwanderer in Nord-Dakota
„… der Dritte erst hat Brot“ Eine Eisenbahngesellschaft wirbt für den Kauf von Ländereien (1910)

Berlin (ORNIS) - Als Johann Bette 1872 nach langer Abwesenheit seine frühere Heimat im Süden Russlands besuchte, brachte er frohe Kunde für Freunde und Verwandte. Drüben in Amerika gebe es Land, das nur darauf warte, besiedelt und unter den Pflug genommen zu werden. Fast ein Vierteljahrhundert zuvor war er vom Schwarzen Meer nach Nordamerika ausgewandert. Jetzt beschlossen einige Familien, Bette zu folgen und jenseits des Atlantiks ein neues Leben zu beginnen – frei von staatlicher Verfolgung und Behördenwillkür.

Nach der Schiffspassage verbrachten sie den ersten Winter in Ohio und schickten Kundschafter aus, nach unbesiedeltem Land und fruchtbaren Böden Ausschau zu halten. Im Dakota-Gebiet wurden sie fündig, und wenig später siedelten sie sich nordwestlich von Yankton unweit des Missouri bei der Ortschaft Scotland an.

Den Pionieren folgte in den Jahren danach eine wahre Welle von Auswanderern – allesamt Russlanddeutsche aus dem Schwarzmeergebiet -, so zahlreich, dass die Siedler immer weiter nach Norden vorstießen in das Gebiet des heutigen Bundesstaates Nord-Dakota, zwischen Montana und Minnesota an der Grenze zu Kanada gelegen.

Für die Neusiedler in Nordamerika waren die entbehrungsreichen Jahre des Aufbaus schneller vorüber als erwartet. „Der Erste hat den Tod, der Zweite hat die Not, der Dritte erst hat Brot“ - das Sprichwort der Schwarzmeer-Deutschen, aus russischer Erfahrung geboren, hatte hier keine Gültigkeit mehr. Bereits in der zweiten Generation, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, brachten die goldenen Jahre der Landwirtschaft Wohlstand nach Nord-Dakota und damit auch den Deutschen aus Russland.

Die meisten waren Bauern und konnten sich eine andere Tätigkeit als die Landwirtschaft kaum vorstellen. Anders als Siedler aus skandinavischen Ländern oder aus Deutschland mieden sie die Städte und schufen – wie ehedem in Russland – geschlossene Siedlungen, in denen die gemeinsame Religionszugehörigkeit oder ein gemeinsames Herkunftsgebiet soziale Bindungen sicherte.

Der Historiker Jerome Tweton aus der Stadt Gran Forks in Nord-Dakota unterstreicht in einer Arbeit über die Deutschen aus Russland, dass für sie der soziale Zusammenhalt von höchstem Wert war. Noch bei einer Umfrage in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stellte sich heraus, dass die Befragten ausschließlich Partner aus der eigenen Religionsgemeinschaft wählten. „Die Auswanderung der Schwarzmeer-Deutschen war vor allem eine Angelegenheit von Familienverbänden“, zitiert Tweton einen anderen Historiker und erwähnt, im Unterschied zu Einwanderern aus Deutschland, Polen oder Skandinavien seien nur selten einzelne Familien ausgewandert und fast nie Einzelpersonen.

Von den 70.000 Deutschen aus Russland, die in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Nord-Dakota lebten, stammten 95 Prozent aus der Schwarzmeer-Region. Deutsche von der Krim und landlose Bauern aus dem Odessa-Gebiet ließen sich nur in geringer Zahl in Nord-Dakota nieder, während große Siedlungen russlanddeutscher Mennoniten im benachbarten Manitoba/Kanada entstanden. Deutsche aus der Wolga-Region, aus dem Kaukasus und Wolhynien ließen sich ebenfalls seltener in Nord-Dakota nieder, die meisten fanden in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in Kansas und Nebraska eine neue Heimat.

Der Kontakt zur alten Heimat wird unter den Russlanddeutschen in den USA heute auf vielerlei Weise lebendig erhalten, nicht zuletzt durch Besuche und Gruppenreisen in die Herkunftsgebiete der Vorfahren. In der 55.000 Einwohner zählenden Hauptstadt von Nord-Dakota, Bismarck, gibt es seit über 30 Jahren die „Gesellschaft zur Wahrung des Russlanddeutschen Erbes“ (Germans from Russia Heritage Society), die historische Forschungen betreibt,  gesellschaftliche Aktivitäten unternimmt und Kontakte zu zahlreichen kleineren Organisationen und Landsmannschaften von Russlanddeutschen in den USA unterhält.

Viele haben sich schon in der Vergangenheit an der Unterstützung der deutschen Bevölkerungsgruppe in Russland beteiligt. Vor allem ältere Menschen erinnern sich an die Erzählungen von Eltern und Großeltern, wie ihre Vorfahren in der neuen Heimat Fuß gefasst haben. Fast ein Drittel der heutigen Bewohner von Nord-Dakota sind russlanddeutscher Herkunft, sagt Michael Miller aus Fargo, der größten Stadt des Bundesstaates. Der Bibliothekar betreut an der örtlichen Staatsuniversität eine umfangreiche Sammlung zum russlanddeutschen Erbe Nord-Dakotas. „Viele Deutsche aus Russland haben Verwandte hier“, sagt Miller, „aber sie wissen es nicht.“ (Ulrich Stewen, Berlin)


Weitere Fotos zum Artikel


 
Links zum Thema
- Germans from Russia Heritage Collection (Nord-Dakota)
- Germans from Russia Heritage Society, Bismarck, North Dakota
- American Historical Society of Germans from Russia, Lincoln, Nebraska

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der Beitrag
in englischer Version

Ulrich Stewen,
"And Only the Third Will Have Bread"

(Übersetzung: Alex Herzog, Boulder/Co.)